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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Zu diesem Zweck wurden einstimmig beschlussfähige Kommissionen ( auch „Ehren-
kommissionen“ genannt ) eingerichtet ; unter Vorsitz eines vom Rektor bestimmten und
ständig mit der politischen Überprüfung beauftragten Mitgliedes des Lehrkörpers als Vor-
sitzenden , bestanden die Kommissionen auch aus drei Mitgliedern der Hochschülerschaft
( je ein Vertreter der politischen Studentenverbände ) als Beisitzer , die „je einer der demo-
kratischen Parteirichtungen angehören“ und selbst ein „polizeiliches Zeugnis über ihre
politische Unbedenklichkeit vorzulegen“1841 hatten. Bei Stimmengleichheit „dirimierte“
( entschied ) der Vorsitzende ; die Letztent
scheidung über Zulassung oder Nicht-Zu
las sung
lag beim Rektor.
Unter allen Umständen vom Studium auszuschließen waren „Illegale“, politische Funk-
tionäre der NSDAP vom Zellenleiter aufwärts , Angehörige der zivilen SS , Angehörige
der NS-Wehrverbände vom Unteroffizier aufwärts , Angehörige der HJ und des BDM
vom Oberscharführer / in aufwärts , Funktionäre des National
sozialistischen Stundenbun-
National sozialismus , (= Emigration – Exil – Kontinuität. Schriften zur zeitgeschichtlichen Kultur- und
Wissen schafts forschung. Hrsg. v. Friedrich Stadler , Bd. 11 ), Wien – Berlin 2011 , 190. Lediglich bei In-
skribenten , die schon vor dem April 1945 eingeschrieben waren , „griffen die überprüfenden Studenten
auf die Kartei karten aus der NS-Zeit zurück.“ Zit. nach : ebd., 207.
1841 UAW , Dekanatsakten , Phil. Fakultät , 513–1945 / 46 , Erlass des Unterrichtsministeriums ( Z.3040 / III–
46 ) [ auf Basis des Erlasses vom 16. 8. 1945 , Z.3423 / 45 ] betref. der politischen Überprüfung der Inskri-
bierenden an den österreichischen Hochschulen , Bundesminister Hurdes an die Rektorate aller wis-
senschaftlichen Hoch schulen , 2. Februar 1946 , 1. Wie es um die politische Zuver lässig keit einzelner
Nominierter bestellt war , zeigt u. a. das Beispiel des Kommis sions vorsitzenden der Gruppe Geisteswis-
senschaften an der philo sophischen Fakultät der Universität Wien , Erich Schenk ( 1902–1974 ). Dieser
war zwar nie NSDAP-Mitglied , aber seit 1934 Mitglied der „Reich schaft Hochschul lehrer im NS-
Lehrer bund“ und machte ab 1938 Karriere : 1939 wurde der Salzburger Mozartforscher Schenk , der sich
in Rostock habilitiert hatte und dort bereits 1936 zum Professor bestellt worden war , nach Wien berufen ,
und übernahm als Ordinarius das Musik wissen schaftliche Institut ; in dieser Funktion war er auch maß-
geblich an der Zwangsenteignung ( „Arisierung “ ) der Privat bibliothek Guido Adlers 1941 beteiligt.
Als nach Kriegende deshalb Anzeige gegen Schenk er stattet wurde , deckte Otto Skrbensky Schenk , indem
nach Untersuchung der Vorkommnisse keine „nach weis baren Taten“ festgestellt wurden ; zudem versch-
wanden Teile von Schenks Personalakten aus der NS-Zeit sowohl im Unterrichtsministerium als auch im
Archiv der Universität Wien. Vgl. Murray G. Hall / Christina Köstner , „… allerlei für die National biblio-
thek zu ergattern …“. Eine österreichische Institution in der NS-Zeit , Wien
– Köln
– Weimar 2006 , 298 ;
weiters : Yukiko Sakabe , Die Bibliothek von Guido Adler. In : Mitteilungen der Alfred Klahr Gesellschaft , Nr.
1 , 2007 , 12. [ Ich danke Herrn Dr. Klaus Taschwer an dieser Stelle für den Literaturhinweis ]. Auch nach
1945 verhielt sich Schenk offen antisemitisch : in den 1950er-Jahren lehnte er unverhohlen Dissertationen
über Franz Schreker oder Gustav Mahler „mit dem Hinweis auf deren jüdischen Abstammung“ ab. Siehe
dazu auch folgende Angaben auf : http ://www.oeaw.ac.at/ikt/Archiv/jourfixe/08_06/080929sakabe_stau-
dinger.pdf ; siehe insbesondere auch : Michael Staudinger , Musikwissenschaft an der Universität Wien
1945–1955. In : Grandner / Heiß / Rathkolb ( Hrsg. ), Zukunft mit Altlasten , a. a. O., 163. 1950 wurde
Schenk Dekan der Philo sophischen Fakultät , 1957 schließlich Rektor. 1970 erhielt er das österreichische
Ehrenzeichen für Wissenschaft und Kunst. Alljährlich wird in Wien der Erich Schenk-Preis der Mozart-
gemeinde Wien vergeben. Siehe. Pfefferle / Pfefferle , Glimpflich entnazifiziert , a. a. O., 43.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741