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4. „The democratic way of life in Austria“
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zur politischen Überprüfung gebildet wurden , denen – anders als etwa in Wien oder der
Steiermark – neben einem Vertreter der Wider stands bewegung auch ein Vertreter der
französischen Besatzungs macht ange hörte.1900 Die Zahl der ‚Ehemaligen‘ im öffentlichen
Dienst war in Tirol „im Vergleich zu anderen Bundes ländern überproportional“1901 hoch
und die französische Besatzungs macht , allem Anschein nach , – trotz anfangs harten Vor-
gehens in der Frage der „Desintoxi
cation“
– insgesamt eher pragmatisch orientiert1902 und
außerdem geprägt durch eine „Politik der Improvisation“;1903 über eigene Direk tiven zur
Entnazifizierung verfügte die französische Besatzungsmacht nicht.
Jedenfalls schafften es teilweise schwer belastete Universitätsprofessoren – und das ist
wohl als sprich wörtliche ‚Spitze des Eisbergs‘ zu sehen
– trotz Entnazi fi zierungs verfahren
im Amt zu bleiben und ihre Karriere nach 1945 ohne Brüche fortzusetzen. Ein Beispiel
unter anderen bildet hier der Fall des Pathologen Franz Josef Lang
– nach dem „Anschluss“
Dekan der Medizinischen Fakultät Innsbruck und deklarierter Verfechter der NS-Ideolo-
gie
–, der trotz nachweislicher „Illegalität“ und „fördernder Mitgliedschaft“ bei der SS als
Universitätsprofessor im Amt bleiben konnte : von seinem Nachfolger wurde ihm be stätigt ,
ab 1941 an „Sitzungen“ der Widerstands gruppe der Medi zinischen Fakultät teilgenom men
zu haben. Der Überprüfungs ausschuss der Universität ex kul pierte den „ausge zeich neten
Wissen schaftler“ lapidar damit , charakterlich ein ‚unpolitischer‘ Mensch zu sein , „der sich
den gegebenen Verhältnissen sehr gut anzupassen versteht. Zivil courage scheint ihm , wie
er selbst zugibt , völlig abzugehen.“1904
1947 wurde Kienzl , der bald darauf mit antisemitischen Aussagen gegenüber Kollegen auf trat , entre-
gistriert , und zwar mit der Begrün dung , er selbst sei Opfer der Nazis , da diese seine Beförderung zum
Ordinarius verzögert hätten. Siehe : Goller / Oberkofler , Universität Innsbruck. Entnazifizierung und
Rehabilitation von Nazi kadern , a. a. O., 18 bzw. 24 f. Darüber hinaus hielt neben den schwerbelasteten
Medizinpro fessoren Otto Stolz und ( Felix ? ) Siegelbauer der ehemalige SA-Standarten führer Professor
Franz Josef Lang Patho logie vorlesungen. Weiters bekleidete der „Illegale“ und frühere stellver tre ten de
Gaustudenten führer Franz Aubela die Stelle eines wissenschaftlichen Assistenten am Wirtschafts-
wissen schaftlichen Institut der Universität Innsbruck ; zuletzt habe mit dem früheren Referenten der
NS-Studenten führung , Harry Klein-Ehrenwalter , der erste „Illegale“ promoviert. Siehe : Suspendierte
Profes soren setzen ihre Tätigkeit fort. In : Österreichische Zeitung , 15. Oktober 1946 , 2.
1900 Jürgen Klöckler , Ici l’Autriche
– Pays Ami ! Frankreich und die Entnazifizierung im besetzten Öster reich
1945 / 46. In : Schuster / Weber ( Hrsg. ), Entnazifizierung , a. a. O., 468.
1901 Wilfried Beimrohr , Entnazifizierung in Tirol. In : Schuster / Weber ( Hrsg. ), Entnazifizierung , a. a. O.,
109. Vgl. auch Stiefel , Nazifizierung plus Entnazifizierung = Null ? , a. a. O., 30.
1902 Vgl. Klöckler , Ici l’Autriche
– Pays Ami ! In : Schuster / Weber ( Hrsg. ), Entnazifizierung , a. a. O., 470.
Vgl. auch Edith Petschnig , Alliierte Entnazifizierung in Österreich. In : Stefan Karner / Gottfried
Stangler ( Hrsg. ), „Österreich ist frei !“ Der Österreichische Staatsvertrag 1955. Beitrags band zur Aus-
stellung auf Burg Schallaburg 2005. Unter Mitarbeit von Peter Fritz und Walter M. Iber , Horn –
Wien 2005 , 110 f.
1903 Klaus Eisterer , Französische Besatzungspolitik. Tirol und Vorarlberg 1945 / 46 ( Innsbrucker Forschun-
gen zur Zeitgeschichte. Hrsg. v. Rolf Steininger , Bd. 9 ), Innsbruck 1992 , 163.
1904 Goller / Oberkofler , Universität Innsbruck. Entnazifizierung und Rehabilitation von Nazikadern , a. a. O., 29.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741