Seite - 443 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Auch an der in der britischen Besatzungszone gelegenen Universität Graz kam es im
Früh jahr 1946 zu Vorfällen , die auf das Fortwirken reaktionärer Kräfte beziehungs weise
auf eine nur unzureichend durchgeführte Entnazifizierung hin deuten – angesichts dieser
Vorfälle soll das Unterrichtsministerium kurzfristig sogar die Schließung der Universität
erwogen haben.1905
Nachdem ein vom Unterrichtsministerium heraus
ge
gebener Erlass zu einer Ver
schärfung
der Zulassungsbestimmungen durch die Sonderkom mis sionen führte und zu sätzlich ein
stärkeres Mitbestimmungsrecht der Österreichischen Hoch schüler schaft vor sah ,1906 plan-
ten , wie die Wahrheit , das „Organ der kommuni stischen Partei für Steier mark“, vermeldete ,
die „faschistischen Kreise der steirischen Akademiker“, insbesondere die Medizin stu denten ,
aus Anlass von Ver haftungen und Ent
lassungen politisch belasteter Professoren sowie we-
gen Angriffen auf den Rektor einen groß angelegten Streik an den Grazer Hochschulen.1907
Die Akademische Rundschau ,1908 die unter Führung ihres Vorsitzenden Karl Leutgeb
( ÖVP ) für die „weitgehende Ent politi sierung der Hochschulen“1909 eintrat , berichtete
im März 1946 , dass der „zündende Funke“ die Verhaftung des Grazer Pathologen Fried-
rich Feyrters1910 gewesen sei , der „als verlässliche Stütze der steirischen Naziärzte“ seine
Amts gewalt dazu missbraucht hatte , „um unter anderem das klinische Nichtkönnen des
SS-Untersturmführers Prof. Erhart [ sic ] zu decken.“1911 Flug zettel und anonyme Briefe
1905 Zur Wahl des Akademischen Senats an der Grazer Universität. In : Akademische Rundschau , 1. Jg., 12. Ok-
tober 1946 , Nr. 3 , 13.
1906 Bundesministerium für Unterricht , Erlass Z 3040 / III–46 , vom 2. Februar 1946.
1907 Wahrheit , vom 21. Februar 1946.
1908 Organ der Österreichischen Hochschülerschaft.
1909 Akademische Rundschau , 1. Jg., Nr. 15 , Februar 1946 , 1.
1910 Friedrich Feyrter ( 1895–1973 ), zunächst in Wien , Breslau und Danzig tätig , wurde 1941 an das Institut
für Pathologie der Universität Graz berufen. Zu Feyrter , der nach seiner Suspendierung in Graz schließ-
lich nach Göttingen ging , steht auf der Homepage der Medizinischen Universität Graz zu lesen ( Stand :
20. August 2006 ): „Seine wissenschaftlichen Verdienste aufzuführen , würde den Rahmen dieser Seite
sprengen. [ … ] Die Ungunst der Zeit , vielleicht auch unterstützt durch den markanten Charakter Feyrters ,
setzte seinem Wirken in Graz 1945 ein Ende. [ Vgl. H. Denk , Die Pathologie in Graz , siehe : http://www.
meduni-graz.at/pathologie/909 ; Zugriff 28. 1. 2013 ]. Auch in der medizini schen Doktor arbeit von Michael
Davis Shappiro , The Role of Connective Tissue Growth Factor ( CTGF ) in Fibrosis. Associated With
Intestinal Neuroendocrine Tumors , Yale 2005 , 23 , werden die Forschungs arbeiten Feyrters aus den Jahren
1938 ff. unkommentiert übernommen. Vgl. auch Huber , Studenten im Schatten der NS-Zeit , a. a. O., 85.
1911 Student sein in Graz ! In : Akademische Rundschau , 1. Jg., März 1946 , Folge 20 , 4. Vermutlich war hier
der Gynäkologe Karl Erhardt gemeint , der 1939–1945 die Universitätsfrauenklinik Graz geleitet hattte ,
und gegen den im März 1946 ein Verfahren wegen schwerer ärztlicher Kunstfehler , mangelndem chirur-
gischem Können und tödlichen Menschenexperimenten ( u. a. an Schwangeren ) eingeleitet wurde ; nach-
dem sich Erhardt nach Deutschland abgesetzt hatte , wurde das Verfahren 1954 wegen Verjährung einge-
stellt. Siehe : Gabriele Czarnowski , NS-Menschenversuche an der Grazer Frauenklinik. Gedenktagung :
60 Jahre Nürnberger Ärzteprozess ( 11. 9. 2007 ), 4. [ Siehe : http://smz.at/wp-content/uploads/2011/03/
Bericht_Tagung.pdf , Zugriff 29. 7. 2012 ]
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741