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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
als Nazi opfer registriert1931
– gelang es außerdem gegen den Widerstand des FÖST , dass
diese Gruppe mit Sitz und Stimme in den Zentralausschuss der ÖH aufgenommen wurde ,
um das „enorme Über gewicht konservativer Kräfte“ ein wenig zu schwächen.1932
Dessen ungeachtet ereigneten sich ab dem Frühjahr 1946 weiterhin Vorfälle an der Uni-
versität Wien , die deutlich machten , dass die Entnazifizierung sowohl inner halb der Pro-
fessorenschaft als auch im Bereich der Studierenden keineswegs mit der nötigen Gründ-
lichkeit erfolgte. So kam es unter anderem im März an der juridischen Fakultät im Hörsaal
33 während einer gut besuchten Vorlesung von Hans Planitz – wie bereits erwähnt , einer
der beiden ständigen Vertreter der Senats vorsitzenden der Sonderkommissionen an der
Universität Wien –, in der unter anderem auch die „entrechtete und menschen un würdige
Stellung der Juden im Mittelalter“ angesprochen wurde , zu antisemitischen Kundgebungen
von Studieren den , die sich bemüßigt fühlten , „durch längeres Fußgetrampel und ein Radau-
konzert seiner Sympathie für die Judenverfolgung des Mittelalters Ausdruck zu geben.“1933
Planitz , der eigenen Angaben zufolge die ungebührlichen Äußerungen sofort mit der Be-
merkung „Ich bitte alle politischen Demonstrationen zu unter lassen !“1934 abge schnitten
habe , sprach im Wortlaut eines nachfolgenden Protokolls bezeichnen
derweise ganz selbst-
verständlich von Äußerungen einer kleinen Gruppe national sozialistisch gesinnter Hörer :
„Ich habe damals über die wirtschaftliche Bedeutung der Juden gesprochen und gewann den
Eindruck , daß dies bei Hörern nat.soz. Gesinnung ein Mißfallen aus löste.“1935
Planitz bemühte sich
– und das ist wohl als signifikant für die damalige geistige Situati-
on an den Universitäten anzusehen
– diesen Vorfall als Ausdruck der existierenden „Lehr-
und Lernfreiheit“ hinunterzuspielen.1936 Obwohl diesem Ereignis – die Österreichi sche
Zeitung ausgenommen – in der öffentlichen Berichterstattung keine weitere Beachtung
geschenkt wurde , interessierte sich immerhin das amerikanische CIC für diesen Vorfall.
Der die Untersuchung führende US-Offizier Mr. Martin forderte eine Liste mit Namen
von Zeugen beziehungsweise Informanten an1937 und wies darauf hin , dass bei allen künf-
1931 Diesen wurde eine staatspolizeiliche Überprüfung erspart , die Studiengebühren erlassen und alle Arbeits-
einsätze erspart.
1932 Forster , Die Geschichte der Österreichischen Hochschülerschaft 1945–1955 , a. a. O., 110.
1933 Österreichische Zeitung , 23. März 1946.
1934 UAW , Rektoratsakten GZ 342–1945 / 46 , Planitz an Rektor Adamovich , 29. März 1946 , 1 [ GZ 342 /
2791 ].
1935 UAW , Rektoratsakten GZ 342–1945 / 46 , Protokoll vom 11. April 1946 im Institut für Krimino logie mit
Univ.-Prof. Dr. Hans Planitz , 1.
1936 Dieser Fall findet sich in der Diplomarbeit von Andreas Huber erstmals dokumentiert. Vgl. Huber , Stu-
denten im Schatten der NS-Zeit , a. a. O., 143.
1937 Genannt wurden hierbei die studentischen Zeugen Josef Dörfl , Leonhardt Hechtl und Gerald Mader ,
sowie der Informant „stud. Jur.“ Eduard Rabowsky [ sic ]. Siehe : Österreichische Hoch schülerschaft an
Rektor Ludwig Adamovich , betref. Rücksprache des Fachgruppenleiters am 4. April 1946 über die Be-
handlung der Affäre „Planitz“ vor dem amerikanischen CIC. UAW , Rektoratsakten , GZ 342–1945 / 46.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741