Seite - 455 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
zum Studium wohl unter
streichen sollte , führte er weiter aus , dass er als Jugendlicher zur SS
eingezogen worden sei und nicht dem Führer , sondern dem Volk dienen wollte , dabei aber
lediglich seine Gesundheit verloren habe , worauf er Applaus vom Auditorium erhielt.1975
Bei diesem ‚SS-Studenten‘ handelte es sich um „stud. phil.“ Günther Langhammer , der
Wien zwei Tage später , nämlich am 16. November , verließ , nachdem
– wie der Dekan der
Philosophischen Fakultät wusste – „vor seinem Wohnhause eine kommunistische Kund-
gebung statt gefunden“1976 hatte. Seither sei Lang hammer nicht mehr ge sehen worden und
werde nun von seiner Familie gesucht , wobei die Mutter es bisher nicht gewagt habe , An-
zeige zu erstatten. Die Abgängigkeit Langhammers sei dem Dekan dadurch zur Kenntnis
gelangt , „daß der Genannte nunmehr überprüft werden sollte und auf Grund seiner Vor-
ladung seine Mutter erschienen sei , um das Ausbleiben des Sohnes zu entschuldigen.“1977
Auf Anfrage teilte die Polizei der Universität mit , dass auch sie keine Informationen über
den Aufenthalt Langhammers hatte. Laut einer US-Informations quelle soll Langham-
mer – allerdings ohne empirische Evidenz – später in Linz gesehen worden sein.1978 Erst
im Februar 1948 kehrte Langhammer nach Wien zurück und meldete sich im Dekanat der
medizinischen Fakultät.1979
Der bereits zitierte Bericht der Education Division vom März 1947 , der eine Bilanz der
„Post-war Education in Austria“ enthält , spielte diese Ereignisse in einer Darstellung ge-
genüber dem USFA-Headquarter allerdings deutlich herunter. Zum einen habe der Mann
nicht , wie in der linken Presse behauptet , gesagt „Ich bin ein SS-Mann“, sondern lediglich
„Ich war ein SS-Mann“. Zum anderen habe sich klar gezeigt , „that no Nazi provocation
or exclamation of fascist conviction was made , but it was only the question of whether an
invalid former member of the military SS should be allowed to study or not , a question
which had already been decided positively [ ! ] by the Austrian government , together with
the Allied Powers , long ago.“1980 Bei dieser Lageeinschätzung handelt es sich jedoch ganz
1975 Akademische Rundschau , 2. Jg., 23. November 1946 , 1.
1976 UAW , Senats-Sitzungsprotokolle des Studienjahres 1946 / 47 , Protokoll der 9. Sitzung des Akademi-
schen Senates der Universität Wien , 11. Jänner 1947 , 3.
1977 Ebd.
1978 Benner , Synopsis of Post-war Education in Austria , a. a. O., 8.
1979 UAW , MED S8 , 419 , Amtsvermerk des medizinischen Dekanats , 4. Februar 1948. Vgl. Huber , Stu-
denten im Schatten der NS-Zeit , a. a. O., 178. Der Inhalt des Aktenvermerks des medizinischen Deka-
nats , den Huber zitiert , wonach Langhammer auf dem Weg nach Ischl war , um sich dort einer Opera-
tion zu unterziehen , ist nicht nur wegen dessen fluchtartiger Abreise , von der nicht einmal seine Mutter
Bescheid wusste , stark in Zweifel zu ziehen , sondern auch wegen dessen immerhin 14-monatiger Ab-
senz , die kaum durch eine Operation zu erklären ist. Eher ist wohl anzunehmen , dass sich Langhammer
nach den Vorfällen und deren öffentlicher Berichterstattung in der amerikanischen Besatzungszone si-
cherer gefühlt haben dürfte als in Wien.
1980 Thomas E. Benner , Synopsis of Post-war Education in Austria , USACA / Education Division , 10th
March 1947 , 8. University of Illinois Archives , Thomas E. Benner Papers 1930–1979 , Austrian Materials ,
Rec. Series No. 10 / 1 / 21 [ Kopie im Besitz des Verfassers ].
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741