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4. „The democratic way of life in Austria“
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offensichtlich um einen ( besatzungs )politisch motivierten Kalmierungsversuch , der die
vorliegende Fakten lage kurzerhand ignorierte.
Auch wenn die Zeitungsberichterstattung über diese Vorfälle sowie über die späteren
Ausschreitungen bei den ÖH-Wahlen deutliche parteipolitische Schlag
seiten erkennen
lässt
– das Gros der Berichterstattung fällt auf die linke Presse , hier vor allem auf kommu-
nistische Blätter , die auch die wenigen beziehungsweise verharm losen den Artikel in an-
deren Tageszeitungen kritisierten.1981 So lässt sich durch Lek türe und Gegenlektüre doch
unschwer erkennen , dass es sich bei den ge nannten Vor gängen keineswegs um harmlose
studentische Meinungs verschieden heiten handelte , sondern
– wie auch schon zuvor
– um
( neo- )nazistische Provo
katio nen. Nicht zuletzt überlegten auch alle drei Studentenvertre-
tungen – laut einer bei Huber zitierten ‚vertraulichen Information‘ an die Staatspolizei –
angesichts dieser Vorfälle , gemeinsam die Schließung der Universität zu fordern , die erst
nach einer gründlichen Säuberung wieder geöffnet werden sollte.1982
Am Tag nach den Zwischenfällen bei den Wahlversammlungen erschienen im Auftrag
des Innenministeriums Beamte der Staatspolizei im Rektorat und baten um Aufklärung.
Rektor Adamovich , der sogleich einen schriftlichen Bericht an das Ministerium übermit-
telte ,1983 bat darum , dass künftig „Organe der Kriminalpolizei den Wahl versammlungen
beiwohnen und allenfalls politische Ruhestörer zur Aus weis leistung verhalten“1984 sollten.
Ohne mit einem Wort auf die nachweislich neonazistischen Äußerungen und die daraus
resultierenden heftigen Debatten einzugehen , die man ja auch als Zeichen eines kritischen ,
demokratiepolitisch wachen Bewusstsein hätte werten könnten , sorgte sich Rektor Ada-
movich in erster Linie um die schlechte Presse und gab in seinem Bericht an das Ministe-
rium seinem tiefsitzenden Pessimismus gegenüber der Studen tenschaft Aus druck :
„Ich bin nach meinen ganzen Erfahrungen der letzten Tage restlos überzeugt , daß die Studie-
renden nicht reif genug sind , die ihnen anvertrauten Angelegenheiten in einer solchen Weise
zu führen , wie es das Ansehen und der Ruf unserer Hochschulen erfordern.“1985
1981 Insbesondere zeigte sich die Volksstimme angesichts der Bagatellisierung durch die Presse und die „bei-
den anderen Parteien“ alarmiert und sprach den Verdacht aus , dass die „Unterrichtsbehörden [ … ] die
Hochschulnazi“ decken. Nach „authentischen Berichten“, so die Volksstimme , sei des Weiteren „ein volles
Drittel der Gesamthörerzahl Wiens derart belastet , daß es vor die Über prüfungs kommission gebracht
werden muß. Unter Hinzurechnung der übrigen politisch belasteten Hörerschaft kann von hundert Stu-
dierenden zumindest ein Prozentsatz von achtzig in Zusammenhang mit der NSDAP genannt werden.“
Volksstimme , Nr. 368 , 17. November 1946 , 2.
1982 ÖSTA / AdR , BMfI , Anhang zu TB Nr. 340 , 18. November 1946 , 5. Vgl. Huber , Studenten im Schatten
der NS-Zeit , a. a. O., 171.
1983 UAW , Senats-Sitzungsprotokolle des Studienjahres 1946 / 47 , Protokoll der 4. Sitzung des Akade mi-
schen Senates der Universität Wien , 16. November 1946 , 2.
1984 Ebd., 3. Bei dieser Gelegenheit sprach Senatsmitglied Prof. Meister die Befürchtung aus , dass „im Falle
von Aggressionen die Polizei von der Waffe Gebrauch machen könnte“. Ebd.
1985 Ebd., 3.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741