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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Angesichts dieser Ereignisse kam es am 16. November 1946 mittags zu einer Besprechung
der Rektoren der Wiener Hochschulen bei Unterrichtsminister Hurdes , der gemeinsam
mit den Rektoren einen sofortigen Legitimations
zwang für die Wahlveranstaltungen fest-
legte , um hochschulfremde Personen fernzuhalten.
In einem Interview mit dem Berichterstatter des Neuen Österreich meinte Unterrichts-
minister Hurdes , der eine neuerliche Überprüfung der Studierenden anordnete ,1986 dass
die Vorfälle nach dem ihm vorliegenden amtlichen Berichten „nicht überschätzt“, aber
ausdrücklich „auch nicht unterschätzt werden“ dürften. „Es steht jedenfalls fest“, mein-
te Hurdes weiter , „dass sich trotz der sehr gründlichen durchgeführten Säuberung der
Hoch schülerschaft einzelne noch immer nationalsozialistisch angekränkelte Studenten zu
halten vermochten. Die endgültige Eliminierung ist nach den heutigen mit den Rektoren
beschlossenen Maßnahmen nur mehr eine Frage der Zeit.“1987 Angesichts dieser durch-
aus kritischen Situation zeigte sich Hurdes hinsichtlich der Studenten schaft zuver sichtlich ,
weil sie – wie er meinte –, sehr gut wisse , dass weitere Zwischenfälle unver meidlich die
Intervention der Besatzungsmächte und womöglich eine vorüber gehende Schließung der
Hochschulen nach sich zögen.1988
Auf die Frage , ob er denn glaube , dass die Entnazifizierung der Hochschulen bereits
abgeschlossen und keine weiteren gründlichen Maßnahmen mehr erforderlich wären ,
fand Hurdes
– vielleicht auch im Hinblick darauf , dass die bevorstehende Außen minister-
konferenz in New York den Beginn der Staatsvertragsverhandlungen auf Anfang 1947 fest-
legen wird ,1989 und gerade im Hinblick auf Fragen der Entnazi fizierung eine Verstimmung
seitens der Alliierten nicht opportun wäre
– zugleich klare und diplo
mati sche Worte :
„Solange die nationalsozialistische Idee nicht wirklich tot ist , sondern – in welcher Form im-
mer – irgendwo wieder lebendig zu werden versucht , verlangt die Sicherheit des Staates die
allergrößte Wachsamkeit. Wir haben uns in den letzten Monaten sehr entscheidend darum
bemüht , wie im gesamten öffentlichen Leben so auch an den Hoch schulen auszumerzen , was
nicht tragbar erschien. Ich will
– um nicht mehr zu sagen , als ich verantworten kann
– das Re-
sultat dieser Aktion als befriedigend , aber deswegen noch nicht als abschließend bezeichnen.
Es werden in der Öffentlichkeit immer wieder Fälle aufgezeigt , die zu denken geben. Seien
1986 Gemeinsam mit einem Vertreter des akademischen Senatse sowie einem Vertreter des Unterrichts-
ministeriums sollten die Delegierten der drei politischen Studenten organisationen neuerlich die Listen der
inskribierten Hörer durchgehen , um „nach den allerstrengsten Grundsätzen jeden auszuschalten , der keine
volle Garantie für die Einhaltung der österreichischen Linie an den Hochschulen bietet.“ Zit. nach : Neues
Österreich. Organ der demokratischen Einigung , 2. Jg., Sonntag , 17. November 1946 , ( Nr. 268 ), Nr. 482 , 1.
1987 Neues Österreich. Organ der demokratischen Einigung , 2. Jg., Sonntag , 17. November 1946 , ( Nr. 268 ), Nr.
482 , 1.
1988 Ebd.
1989 Vgl. Gerald Stourzh , Geschichte des Staatsvertrages 1945–1955. Österreichs Weg zur Neutralität , Graz
–
Wien – Köln 1985 , 15.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741