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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
„die Beschlüsse dieser Kon ferenz abzuwarten und von Teildemon strationen abzu sehen.“2004
Die Großdemon
stra
tion fand dann aber
– wie „spontan“2005 auch immer beschlossen
– be-
reits am folgen
den Tag statt. Am späten Abend informierte Staatspolizeichef Heinrich Dür-
mayer das Innenministerium von der bevorstehenden Demonstration ; die Nachricht wurde
an Innenminister Helmer weitergeleitet , der den Polizeipräsidenten sogleich anwies , die
Demonstration durch Gespräche mit dem Gewerkschaftsbund „unter allen Umständen“ zu
verhindern , da dies einen ungünstigen Eindruck [ … ] bei den Alliierten machen“ 2006 würde.
Der Vormittag des Wahltages
– bereits ab acht Uhr früh konnte gewählt werden
– verlief
zunächst ruhig und bis gegen 11 Uhr hatten rund 50 Prozent der Studierenden ihre Stimme
abgegeben. Wie Andreas Huber unter Auswertung staatspolizeilicher Proto
kolle des Innen-
ministeriums feststellen konnte , waren bereits ab acht Uhr 64 Kriminal- und 80 Sicherheits-
beamte zur Sicherung der Universität abgestellt , letztere unter Führung des Kommunisten
Hans Marsalek , dem Referenten für Abwehr der Abteilung I. Und noch vor Eintreffen der
ersten Demonstranten wurden die Sicherheitskräfte um weitere 230 Beamte aufgestockt.2007
Nach neuerlichen Betriebsversammlungen stellten die Arbeiter aus mehreren Groß-
betrieben
– alle in der sowjetischen Zone gelegen
– die Arbeit ein und mar
schierten gegen
10.30 Uhr auf der Ringstraße vor der Universität auf , wo sie in Sprech chören „Nieder mit
den Nazistudenten“ oder „Werft die Faschisten raus !“2008 skandier ten. Den – laut Augen-
zeugenberichten – rund 2. 000 bis 3. 000 Arbeitern2009 aus Betrieben der Floridsdorfer
Lokomotiv fabrik , den Siemens-Schukert-Werken , wo der sozialis tische Betriebsrat Aigner
zur Kundgebung aufrief ,2010 des Großbetriebes Krause , der Nova-Werke in Schwechat ,
der DDSG , Waagner & Biro , der Firmen Tondloff-Wamag und Rothmüller-Newa folgten
Fahnen schwenkende Demonstrations züge der kommunis tischen „Freien öster reichischen
Jugend“ ( FÖJ ); aber auch teilweise junge sozialis tische Arbeiter sowie gewerkschaftliche
Vertrauensleute der SPÖ ver sammelten sich vor der Universität. 2011
2004 Volksstimme , Nr. 269 , 19. November 1946 , 1.
2005 „Die Erregung führte dazu , daß gestern außer Delegationen von Wiener Betrieben die Beleg schaften
mehrerer Großbetriebe spontan den Beschluß faßten , vor die Universität zu ziehen.“ Zit. nach : Volks-
stimme , 20. November 1946 , Nr. 270 , 1. [ Hervorhebung d. Verf. ]
2006 Zit. nach : Huber , Studenten im Schatten der NS-Zeit , a. a. O., 178.
2007 ÖSTA / AdR , BMfI , GZ 164231–2 / 46 , Bericht des BMfI , 26. November 1946. 1. Zit. nach : Huber , Stu-
denten im Schatten der NS-Zeit , a. a. O., 180.
2008 Vgl. Wiener Zeitung , 239. Jg., Nr. 270 , Mittwoch , 20. November 1946 , 1. Angesichts der auf marschierenden
Arbeiter hatte Hans Hammerschmid , der Pedellenkanzlei-Leiter , umgehend die Universitätstore schlie-
ßen lassen. UAW , Rektoratsakten , GZ 216 , O.-Nr. 75 , Bericht von Hans Hammerschmid , 23. Novem-
ber 1946 , 9. Vgl. Huber , Studenten im Schatten der NS-Zeit , a. a. O., 181.
2009 Ebd. Die Staatspolizei berichtete hingegen von 4. 000 bis 6. 000 Demonstranten um die Mittagszeit. Vgl.
Huber , Studenten im Schatten der NS-Zeit , a. a. O., 182.
2010 Volksstimme , Nr. 270 , 20. November 1946 , 1.
2011 Persönliche mündliche Mitteilung von Prof. Rudolf Gelbard / Wien , 12. Oktober 2005 , der die Vorgänge
als Augenzeuge miterlebt hat. Der US-Gesandte John G. Erhardt berichtete in diesem Zusammenhang
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741