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4. „The democratic way of life in Austria“
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Eine Schließung der Uni versität
– wie vom Alliierten Rat in seiner Sitzung vom 21. No-
vember 1946 unter Vorsitz des französischen Kommandanten General Jopê zumindest er-
wogen und von den Sowjets und den österreichischen Kommunisten gefordert wurde , stand
immerhin die Gefahr einer zeitweiligen Schließung der Universi täten im Raum2046
– konnte
nur durch die vehemente Gegenposition der amerikani
schen und auch der britischen Besat-
zungsmacht verhindert werden : sie wiesen darauf hin , dass eine derartige Maßnahme den
bisherigen Aufbauprozess im gesamten höheren Bildungswesen Österreichs em
pfind lich zu-
rückwerfen würde. Ganz im Sinne eines besatzungspolitischen quid pro quo wollte man den
Sowjets mit der Unter stützung der Forderung nach einem Re-Screening der Universitäten
aber die Möglich keit geben , im Hinblick auf die von den demonstrierenden Arbeitern ge-
stellten Forderungen nach einer Säuberung der Hochschulen das Gesicht zu wahren.
“In the progress of this political battle , in order to prevent the closing of the universities , in
order to allow the Soviet Element to “save face“, and particularly in order to avoid the creating
issues which might obstruct the drafting of the peace treaty for Austria , it was necessary to
pass over in silence the dangerous and anti-democratic activities of the Communist and Soviet
sponsored workers”.2047
Immerhin hatte sich nach den Ereignissen , die keineswegs
– wie in der kommunis tischen
Presse kolportiert
– ‚völlig spontan‘ zustande gekommen , sondern durch aus organi siert wa-
ren , laut Major Benner herausgestellt , dass den demon strie renden Arbeitern von der Roten
Armee ein volles Tagesgehalt für die Teilnahme an der Protest
kundgebung sowie ein „beer
and goulash dinner“2048 danach ver sprochen worden war.
Entgegen der auch in der Tagespresse verbreiteten Ansicht , die Tumulte seien von kom-
munistischen Randalierern verursacht worden , stellte der VSStÖ nach den Ereignissen
allerdings klar : „Die Volksparteipresse spricht es zwischen den Zeilen aus , daß ‚hochschul-
fremde‘ , linksradikale Elemente , die Krawalle ausgelöst hätten. Wir glauben dies nicht.“2049
Sicherlich in gewissem Bemühen , die Studentenschaft im Nachhinein zu exkulpie-
ren , sprach die Österreichische Hochschülerschaft die Schuld an den Ausschreitungen
sowohl kommunistischen Provokateuren als auch vom Studium ausgeschlossenen Nazi-
2046 Angesichts der alarmierenden Vorgänge und dem Misstrauen gegenüber der Aktivität der öster reichi
schen
‚Säuberungskommission‘ stellte Generalleutnant Lebedenko den Antrag , die Universität während der neu-
erlichen Entnazifizierungsmaßnahmen zumindest für die Dauer von einem Monat zu schließen. Zudem
sollten „präzise Aufnahmeregeln“ festgesetzt werden , wonach künftig nur mehr a ) österreichische Staatsbür-
ger per Erlaubnis der österreichischen Regierung , b ) Staatsbürger der vier Besatzungsmächte per Erlaubnis
der Behörden sowie c ) sonstige Personen nach Überprüfung ihrer politischen Zuverlässigkeit durch Vertre-
ter der drei demokratischen Parteien“ inskribieren dürften. Vgl. Volksstimme , 23. November 1946 , Nr. 273 , 1.
2047 Benner , Synopsis of Post-war Education in Austria , USACA , Education Division , 10. März 1947 , 10.
2048 Benner , „Unhappy Austria“, a. a. O., 5.
2049 „Provokationen und ihr Widerhall“. In : Strom , 2. Jg., 23. November 1946 , Folge 39 , 10.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741