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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Studenten zu. Zusätzlich bemühten sich die Akademische Rundschau und auch die US-
Education Division darum , herauszustreichen , dass sich unter den insgesamt 36 Verletzten
keine Studierenden befanden , die in irgendeiner Form durch eine „Nazi vergangenheit“
belastet waren. Eine gesonderte Untersuchung dazu habe ergeben , dass vier der verletzten
Mitglieder des antinazisti schen Wiener Untergrundes und sieben von ihnen Über lebende
von Konzen trationslagern waren.2050 Allerdings decken sich diese Angaben nicht mit der
Darstellung der Staatspolizei , die die Verhaftungen durchgeführt und
– ganz anders als die
ÖH – offenkundig allerhöchstes Interesse daran hatte , einen allfälligen national sozialis-
tischen Background der verhafteten Studenten zu recherchieren. Wie Huber auf Grund-
lage der von Dürmayer ans Innenministerium übermittelten staatspolizeilichen Protokolle
detailliert dargestellt hat , waren unter den 25 verhafteten Studenten 13 Verletzte. Laut
Staatspolizei seien 16 der Inhaftierten Mitglied einer NS-Organisationen gewesen : der
Großteil in NS-Jugendorganisationen ( HJ / DJ / BDM ), ein Mitglied der Waffen-SS und
zwei Studenten , die die Registrierungspflicht unterlaufen und ihre SA-Zugehörigkeit ver-
schwiegen hätten.2051
In Bezug auf die Zeitungsberichterstattung über die Vorfälle bei den ersten Hoch-
schüler schaftswahlen – erstaunlicherweise sind lediglich in der Welt-Illustrierten und in
der Weltpresse Fotos aufzu finden2052 – ist an dieser Stelle anzu merken , dass diese eine er-
hebliche Verzerrung aufweist : der Wiener Kurier merkte signifikanter weise nur in einem
Artikel an , dass während der Wahlen „eine gewisse Störung eingetreten ist , weil Massen
von Arbeitern mit feind seli gen Rufen vor der Universität vorübergezogen“ seien und ver-
wies – mit einer den Tatsachen nicht entsprechenden Stellungnahme zur universitären
Personalpolitik von Minister Hurdes – auf angebliche wissenschaftspolitische Anstren-
gungen , wonach dieser „wieder holt , die österreichischen Gelehrten und Profes soren , die
noch im Auslande weilen , unter anderem die Nobelpreisträger Schrödinger und Heß so-
wie Prof. Hochmeister aufgefordert [ habe ] , ihre Lehrtätigkeit in Österreich aufzunehmen
und ihnen ent sprechende Lehrkanzeln an den Hochschulen bis zum heutige Tage frei-
2050 Thomas E. Benner , „Unhappy Austria“. Manuskript. University of Illinois Archives , Thomas E. Benner
Papers 1930–1979 , Austrian Materials , Rec. Series No. 10 / 1 / 21,7 [ Kopie im Besitz des Verfassers ]; vgl.
dazu auch : Akademische Rundschau , 2. Jg., 30. November 1946 , Nr. 10 , 2.
2051 Vgl. dazu ausführlich : Huber , Studenten im Schatten der NS-Zeit , a. a. O., 201–204. Interessanter weise
verliefen die Vorerhebungen für ein Disziplinarverfahren im März 1946 gegen die inhaftierten Studie-
renden im Sande , da für die Kriminalbeamten keine Personalunterlagen mehr aufzufinden waren und sich
diese – die Verhaftungen waren ja durch Beamte der Staatspolizei erfolgt – an keine provokatorischen
Äußerungen von Studenten erinnern konnten. Ebd., 203. Demgegenüber wurden die Verfahren gegen die
beiden SA-Mitglieder eingestellt ; einer der beiden promovierte bereits Februar 1947. Ebd., 203 f.
2052 Siehe dazu Huber , Studenten im Schatten der NS-Zeit , a. a. O., 184–185. Eine Recherche in zentra-
len Fotoarchiven fiel ergebnislos aus. Erstaunlicherweise findet sich weder im Bestand des Bildarchivs
der Österreichischen Nationalbibliothek , im Fotoarchiv des Instituts für Zeit geschichte der Universität
Wien , im Archiv des Vereins zur Geschichte der Arbeiterbewegung , im Archiv der Bundespolizeidirek-
tion Wien , im Archiv der Universität Wien noch im Archiv der Firma Votava eine Aufnahme.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741