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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
Trotz der geschilderten Ausschreitungen bei der ÖH-Wahl war die Wahl beteiligung
mit über 80 Prozent sowohl in Wien2060 als auch österreichweit hoch. Die Wahl selbst
gewann der ÖVP-nahe FÖST mit 75,3 Prozent der Stimmen vor dem VSStÖ mit 21,7
Prozent und den kommunistischen Studen ten mit drei Prozent.2061
Am Tag nach den Hochschulkrawallen fand eine außerordentliche Sitzung des Akade-
mischen Senates statt , an der auch die beiden Sektionschefs Skrbensky und Musil teilnah-
men , um sich persönlich über die Vorfälle zu erkundigen. Dabei gab Skrbensky bekannt ,
„daß die Regierung gegen die Sperre [ der Universität , d. Verf. ] sei und der Beschluß des
Senats zurückzunehmen sei“2062
– aus Sicht des Rektors eine weitere autoritäre Anmaßung
des Unterrichtsministers gegen über der Alma Mater und ihrem Rektor , die die existieren-
den Differenzen noch vertiefte.
Am gleichen Tag fand im Wiener Konzerthaus eine stürmische Protest kundgebung des
„Landesverbandes Wien ehemals politisch verfolgter Anti
faschisten“ statt ( d. i. KZ-Verband ,
Häftlingsverband , Verband der Abstammungs verfolgten ), bei der Vertreter aller drei po-
litischen Parteien sowie Vertreter der Studenten fraktionen anwesend waren ; etwa 5. 000
Personen nahmen an dieser Ver sammlung teil , die Bundesvorstand Ministerial rat Dr. Franz
Sobek eröffnete. Nach dem Obmann der sozialistischen Studenten , Raoul Schmiedek , soll-
te ein Vertreter des FÖST zu Wort kommen , doch die Ver sammlung geriet in einen derart
heftigen Tumult , dass der Vorstand des Präsidiums abtrat. Sowohl die Versammlung – als
Sprecher hatten insbesondere Dr. Wolken und Horn ( KPÖ ) sowie Felix Slavik ( SPÖ ) die
Zustände an der Universität heftig kritisiert
– als auch die Hoch
schüler schaft distanzierten
sich energisch von den Vorkomm nissen und den dabei verübten „Exzessen“.2063
Ebenso wie die Teilnehmer dieser Versammlung distanzierten sich sowohl der Öster-
reichische Gewerkschaftsbund als auch die Bundesregierung vom „Terror“ der Demon-
stranten , wobei aber gleichzeitig auf die Notwendigkeit gründlicher Nach säuberungs-
maßnahmen verwiesen wurde.
Der Gewerkschaftsbund versicherte darüber hinaus – nicht ganz unzwei deutig – der
„um die Demokrati sie rung der Hochschulen kämpfende[ n ] Studenten schaft nicht nur sei-
ner Sympathie , son dern auch seiner Unterstützung“2064 und vertrat die eindeutige For-
2060 In Summe waren an der Universität Wien 12. 527 wahlberechtigt gewesen. Vgl. Synopsis of Post-war
Education in Austria , USACA / Education Division , 10th March 1947 , 7.
2061 Arbeiterzeitung , 21. November 1946 , Nr. 271 , 1. Mit der Zulassung des Rings Freiheitlicher Studenten
( RFS ) bei den ÖH-Wahlen im Jahr 1953 kam dann erstmals das vorhandene Potenzial deutschnatio-
naler und rechtsextremer Kräfte auf universi tärem Nachkriegsboden zum Vorschein , indem dieses Sam-
melbecken auf Anhieb 32 % bei den Hochschülerschaftswahlen erreichte. Vgl. Heribert Schiedel / Mar-
tin Tröger , Zum deutschnationalen Korporationswesen in Österreich. Siehe dazu : http://www.doew.at/
thema/thema_alt/rechts/burschen/burschis.html [ Zugriff 16. 8. 2011 ].
2062 Ebd., 1.
2063 Wiener Zeitung , 239. Jg., Mittwoch , 20. November 1946 , Nr. 270 , 2.
2064 Ebd.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741