Seite - 475 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Bild der Seite - 475 -
Text der Seite - 475 -
475
Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
mini sterium , die sich durch die ministerielle Kritik an der verhängten Universi tätssperre2069
noch vergrößerten , brachte Rektor Adamovich neuerlich ein Rücktritts gesuch ein , das von
Minister Hurdes allerdings auch diesmal nicht angenommen wurde.2070
Zusätzlich angeheizt wurde die Situation dann durch die offene Forderung der Kom-
munisten nach politischen Konsequenzen. Bei einer „Konferenz der Vertrauens
männer der
Wiener Betriebe und Bezirke“ pochte der KPÖ-Vorsitzende Johann Koplenig angesichts
der Vorfälle auf die sofortige Abhaltung von Neuwahlen zum Nationalrat , denn , so die
plakativ formulierte Anklage : „Die reaktionäre Clique , die an unserem Elend schuld ist ,
muß aus der Regierung verschwinden.“2071 Unter dem Druck der Ereignisse waren sich
sowohl Nationalrat als auch Bundes regierung hinsichtlich der Notwendigkeit weitgehend
einig
– bei allem Bemühen , die Studenten schaft gegen die Provokateure in Schutz zu neh-
men
–, den Alliierten gegenüber eine klare Position in dieser Angelegen heit einzunehmen.
Aus Sicht der österreichischen Regierung bestand darüber hinaus die Gefahr , gerade im
Hinblick auf die Entnazifizierungsfragen neuerlich als säumig zu erscheinen und damit –
vor allem den Sowjets
– Argumente gegen die Aufnahme von Staatsvertrags
verhandlungen
zu liefern. In einem Schreiben an den Alliierten Rat räumte Figl jedenfalls ein , dass der-
artige Zwischenfälle darauf hin deuten , „dass die bisherigen Säuberungs maß nahmen nicht
ausgereicht haben , um nationalsozialistische Tendenzen an den öster reichi schen Hoch-
schulen restlos auszumerzen.“2072
De facto spielten die Vorkommnisse rund um die ÖH-Wahlen , trotz so mancher nega-
tiver Schlagzeilen auch im Ausland ,2073 realpolitisch im Hinblick auf die Aufnahme von
Staatsvertragsverhandlungen weder bei der vorbereitenden Außenminister
konferenz im
2069 Aufgrund der massiven Kritik an der verhängten Sperre der Universität seitens des Unterrichts-
ministeriums und der Regierung wurde ein eigenes Rechtsgutachten in Auftrag gegeben , das sich u. a.
auf einen Ministeriumserlass vom Juli 1851 bezog , worin es hieß , dass „die akademischen Behörden im
allgemeinen eine zu grosse Ängstlichkeit in dem Gebrauche der ihnen [ … ] eingeräumten Frei heit und
zu weit gehendes Streben gezeigt [ hätten ] , jede Verantwortlichkeit für ihre Geschäfts führung von sich
abzuwälzen.“ UAW , Senats-Sitzungsprotokolle des Studien jahres 1946 / 47 , Protokoll der 5. Sitzung
des Akademi schen Senates der Universität Wien , 30. November 1946 , Rechtsgutachten über die vom
Akademischen Senat am 19. d. Mts. verfügte Sperre der Universität , 1 f. Hierin wurde vermerkt , dass das
geeignete Mittel zur Aufrechterhaltung von „Ruhe und Ordnung auf akademischem Boden“ und zum
Schutz des staatlichen Eigentums „einzig und allein die Sperre“ gewesen sei.
2070 UAW , Senats-Sitzungsprotokolle des Studienjahres 1946 / 47 , Protokoll der 4. Sitzung des Akademi-
schen Senates der Universität Wien , 16. November 1946 , 1.
2071 Volksstimme , 22. November 1946 , Nr. 272 , 1.
2072 Bundeskanzler Figl an den Alliierten Rat , 8. Dezember 1946 , 60258–2 / 033 , NA. Zit. nach : Stiefel , Ent-
nazifizierung in Österreich , a. a. O., 180.
2073 So sei Rektor Adamovich von dem in den USA weilenden Außenminister Karl Gruber darüber infor-
miert worden , dass das „Echo auf die Vorfälle bei den Wiener Hochschulwahlen sehr schwerwiegend
gewesen sei“. Zit. nach : Huber , Studenten im Schatten der NS-Zeit , a. a. O., 206. [ UAW , Rektoratsakten ,
GZ 260–1946 / 47 , O.-Nr. 43a , Protokoll zur Rektorenkonferenz am 18. Jänner 1946 ( recte 1947 ! ), 6 ].
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741