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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
ten bereits im November 1946 die Zusammenarbeit auf und teilten dem Rektor mit , dass sie
es „nicht verantworten könnten , an einer Überprüfung in der vom Unterrichts minis
terium
vor geschriebenen Art und Weise mitzuarbeiten.“2098 Auch die kommunistischen Studen-
tenvertreter an der Philosophischen Fakultät zogen sich voll ständig aus den Kommissionen
zurück , was Senatsmitglied Richard Meister zur Befürchtung veran
lasste , dass bei einer zu mil-
den Überprüfung „allein der ÖVP“ deswegen Vorwürfe gemacht würden , bei einer zu strengen
Vorgehensweise hingegen die Gefahr bestünde , „große Ungerechtigkeiten zu begehen.“2099
Nach dem Rückzug der linken Fraktionen aus den Überprüfungskommissionen verblieb als
einzige kooperationsbereite Studenten gruppe somit zunächst die konservative Union ; nach
weiteren Gesprächen lenkte der VSStÖ schließlich ein , allerdings zu einem so späten Zeit-
punkt , als eine aktive Mitwirkung an den Säuberungsmaßnahmen kaum mehr möglich war.2100
Selbst Rektor Adamovich äußerte Bedenken gegen über dem ministerial verordneten
Überprüfungsprozedere , das ohne Einbe ziehung der Universitäten zu stande gekommen
war. Insbesondere sei die geforderte Über prüfung der Studenten für die akademischen
Behörden sehr unangenehm , „da alle Parteien , vor allem die Alliierten [ sic ] , aus der Ent-
nazifizierung der Hochschulen eine hoch
politische Angelegenheit gemacht haben.“ Ada-
movich weiter im Wortlaut des Senats sitzungs protokolls :
„Dem Senat stehe aber keine Wahl offen , als entweder zu erklären , er könne in der verlangten
Weise die Überprüfung nicht durchführen und trete aus diesem Grunde geschlossen zurück ,
oder er müsse die Überprüfung unter allen Umständen durch führen. [ … ] Außerdem werde
im Erlaß des Unterrichtsministeriums [ … ] unter anderem verlangt , daß Vorsorge zu treffen
sei , daß die von den Kommissionen endgültig ausgeschlossenen Personen die Hochschule
nicht mehr betreten. Der Rektor stellt hiezu fest , daß er nicht wisse , wie man eine derartige
Sicherung wirksam durchführen könnte , ohne daß die Ausgeschlossenen , wie früher etwa die
Juden oder Polen , öffentlich gekennzeichnet würden.“2101
De facto zeigten sich vor allem hinsichtlich der vorgesehenen Mitwirkung der Studenten-
verbände bei der Arbeit der Überprüfungskommissionen gröbere Schwierig keiten und
Ungereimtheiten. So waren die sozialistischen Studenten an der Medizini schen Fakul-
tät nicht in der Lage , eine ausreichende Zahl an studentischen Beisitzern zu nominieren
und somit an den Tagungen teilzunehmen , „so dass nichts anderes übrig blieb , als den
sozialistischen Studentenführern die Akten zur Einsichtnahme zu übergeben.“ Hingegen
hatte sich die kommunistische Studentenfraktion „im Prinzip zur Teilnahme bereit er-
2098 Ebd., 3.
2099 Ebd., 6.
2100 Vgl. dazu Huber , Studenten im Schatten der NS-Zeit , a. a. O., 100.
2101 UAW , Senats-Sitzungsprotokolle des Studienjahres 1946 / 47 , Protokoll über die außerordentliche Sit-
zung des Akademi schen Senates der Universität Wien , 20. November 1946 , 4.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741