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Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung
ler erscheint. Jugendliche , welche schon wieder ganz offen ‚Antisemitismus‘ predigen. Jugend-
liche , welche schon wieder in Be geisterung den Krieg gegen die Sowjetunion erwarten [ … ].
Amnestie ja ! Aber vorher restlose Entnazifizierung !“2162 [ Hervorhebung d. Verf. ]
Soweit die Kritik und der dramatische Befund Albrecht Gaiswinklers zum Resultat der
Entnazifizierung : eine Diagnose , die sich
– trotz vieler gleichlautender Aussagen aus jener
Zeit
– im empirischen Sinne freilich nur teilweise verifizieren lässt ; aber
– und das verdient
an dieser Stelle hervorgehoben zu werden
–, falsifizieren lässt sich der hier ausgesprochene
Befund auf Grundlage des verfügbaren Quellenmaterials noch weitaus weniger.2163
Anhand der Personalstandsverzeichnisse einzelner Fakultäten der Uni versi tät Wien hat
Weinert überprüft , dass der Prozentsatz aller Lehrkräfte an der Juridischen Fakultät im
Wintersemester 1945 / 46 infolge der Säuberungs maßnahmen auf 29 Prozent schrumpfte ,
1949 / 50 aber bereits wieder die 50 Prozentgrenze erreichte , wobei die Zahl der wieder
eingestellten Professoren bereits 59 Prozent betrug. An der Philosophischen Fakultät lag
die Vergleichszahl aller Lehrkräfte bei 44 Prozent , bei den Professoren bei genau 60 Pro-
zent.2164 Bis 1956 / 57 kletterte die Zahl der wieder eingegliederten ehe maligen NS-Lehr-
kräfte an der Juridischen Fakultät , deren Grundtendenz seit den 1920er-Jahren radikal
antisemitisch-deutschnational geprägt war ,2165 immerhin bereits auf 66 Prozent.2166 Wie
bereits erwähnt , machte an der Philosophischen Fakultät der Uni ver sität Wien zwei Drit-
tel der Professorenschaft nach 1945 eine zweite Karriere.2167
Wie unter anderem aus den Protokollen des „Quadripartite-Subcommittees“ hervor-
geht , zog sich die Entnazifizierung der Universitäten – wie schon zuvor die Entnazi-
fizierung allgemein
– als endlose Geschichte bis 1949 dahin. In geradezu ritualisierter Form
lieferten Bundeskanzleramt und Unterrichts ministerium der Alliierten Kommission regel-
mäßig neue Berichte zum Fortschritt der Entnazi fizie rung ,2168 die im Wesentlichen den
2162 Albrecht Gaiswinkler , Nazi-Amnestie ? In : Strom , 4. Jg., Folge 2 , 31. Jänner 1948 , 3 f.
2163 Ein Indikator für die Schwierigkeiten im Bereich der Entnazifizierung war zweifellos auch die Über-
lastung der Behörden und Kommissionen. Im August 1946 meldete der polizeiliche Situations bericht
für Wien den Abschluss der NS-Registrierung im 8. Wiener Gemeindebezirk : 2790 Personen hatten
sich gemeldete , „jedoch 2450 Gesuche um Nachsicht eingebracht“. Zit. nach : Schembor , Polizeiliche
Situationsberichte für die Jahre 1945 und 1946 , a. a. O., 258.
2164 Vgl. Weinert , Entnazifizierung an den Hochschulen , a. a. O., 262.
2165 Vgl. dazu Oliver Rathkolb , Die Rechts- und Staatswissenschaftliche Fakultät der Universität Wien
zwischen Antisemitismus , Deutschnationalismus und National sozia lismus 1938 , davor und danach. In :
Heiß et al. ( Hrsg. ), Willfährige Wissen schaft , a. a. O., 198 f.
2166 Vgl. Weinert , Entnazifizierung an den Hochschulen , a. a. O., 262.
2167 Pfefferle / Pfefferle , Glimpflich entnazifiziert , a. a. O., 46 ff.
2168 Vgl. etwa NARA II , RG 84 , [ 84 / 350 / 49 / 09 / 5 ] , Box 12 [ Entry 2062 ]. Foreign Service Post of the
Department of State. Austria , U. S. Element of the Allied Commission for Austria. General Records ,
1945–195 ( Education ), Republic of Austria , Federal Chancellory [( Albert ) Markovics ] to Allied Com-
mission for Austria , Allied Denazification Bureau , „Technical High School in Vienna ; denazification
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741