Seite - 518 - in Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration - US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Bild der Seite - 518 -
Text der Seite - 518 -
5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg
518
mary Mission“ der alliierten Besatzung formal darauf , analog zu den Planungen innerhalb
der „European Advisory Commission“ ( EAC ) den Weg zur Umsetzung des in der Mos-
kauer Deklaration festgelegten Zieles zu ebnen : der Wieder herstellung eines freien und
unabhängigen Österreich.2219 Der Fokus der Handlungsrichtlinien innerhalb der Direk-
tiven für die US-Militär regierung in Österreich , die durch die Potsdamer Konferenz im
Juli / August 1945 noch mals bestärkt wurden , lag daher primär auf personellen und materi-
alen ‚Säuberungs maßnahmen‘ , auf deren Supervision und auf der anschließend durchzu-
führenden Wiederöffnung der Bildungs- und Kultureinrichtungen auf der Basis materiel-
ler Hilfe leistungen.
Inhaltlich-konzeptuelle Überlegungen im Hinblick auf koordinierte und längerfristige
Strukturmaßnahmen zum Zweck einer nachhaltigen demokratischen Reorien tierung wur-
den im „Military Handbook Austria“ ebenso wenig formuliert wie die Wörter „Reeduca-
tion“ oder „Reorientation“, die darin nicht zu finden sind.
Dessen ungeachtet hatten aber weder das Department of State noch die zivil gesell-
schaftlichen , mit Reeducation- beziehungsweise Reorientierungs-Fragen beschäftigten
amerikanischen Institutionen und Gremien die noch während der Kriegsjahre angestell-
ten Überlegungen für eine dauerhafte Friedensicherung
– auch ein zentrales Motiv für die
Gründung der Vereinten Nationen
–, aus den Augen verloren.2220
Die inhaltliche Ver kürzung der besatzungspolitischen Agenden auf primär ( punitive )
Formal-Maßnahmen im Zusammen hang mit Entnazifizierung und Entmili tarisierung –
die punktuelle , jedoch vergleichsweise unkoordinierte Reeduca tion-Aktivitäten wie bei-
spielsweise Filmvorführungen miteinschlossen2221
– zog jedoch zunehmend Kritik des Sta-
2219 Im Originalwortlaut liest sich die US-Mission folgendermaßen : „The primary mission of Allied Military
Government in Austria is to prepare the way for implementing the Moscow Conference ‚Declaration of
Austria‘ [ … ]“. In : Handbook for Military Government in Austria , April 1945 , a. a. O., Chapter I , 1.
2220 Hinsichtlich der zivilen Reeducation-Aktivitäten im US-Privatsektor heißt es etwa in einem Bericht
des „Instituts on Re-Education of the Axis Countries“, auf den nachfolgend noch kurz einzugehen sein
wird : „Since the fall of 1944 , we , educators and friends of education from many of the United Nations ,
have been holding meetings at New York University as an Institute on the Re-Education of the Axis-
Countries to study and formulate constructive proposals concerning the problems of re-constructing
education in the conquered Axis countries.“ NARA II , RG 260 , OMGUS – ECR , Box 89. Institute on
Re-Education of the Axis Countries. Report on the Re-education of Germany. Presented by the Sub-
Committee ( T. C. Pollock , R. Schairer ; F. M. Crowley , F. W. Foerster , J. K. Folsom , S. L. Hamilton , E.
Hanke ), 15. Juni 1945 , 1.
2221 In der unmittelbaren Nachkriegsphase sollten Filme mit „punitivem Tenor“ die Besatzungs herrschaft
legitimieren helfen. So wurden zu Reeducation-Zwecken , jedoch weitgehend ohne äußeren Zwang , der
Bevölkerung beispielweise in der Urania 1945 / 46 der unter Leitung von Billy Wilder von OMGUS
produzierte Film „Die Todesmühlen“, der während des Nürnberger Prozesses gezeigt wurde ( April 1946
wurden 65 Kopien für die Vorführung in Österreich freigegeben ) oder der französische KZ-Film „Les
Camps de la Mort“ ( „Lager des Grauens“, Uraufführung im Haydn Kino am 16. 11. 1945 ) gezeigt , wel-
che die von Deutschen begange nen Gräueltaten in den Konzentrations- und Vernichtungslagern dar-
stellten. Siehe : Michaela Anderle , Todesmühlen in Wien. Auf den Spuren eines Films im Dienste der
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741