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Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel
Vor dem Hintergrund zahlreicher Aussagen deutscher und österreichischer Universi-
täts lehrer , die , trotz ihrer Karriere während der NS-Zeit , auf der sozialen Unverant-
wortlichkeit der Intellektuellen in der Zeit des Nationalsozialismus beharrten , skizzierte
Anderson abschließend mit großer prognostischer Treffsicherheit ein mögliches Gefah-
renszenario hinsichtlich der politischen Verlässlichkeit des akademischen Lehrpersonals ,
das aus dem Gefühl der Unverantwortlichkeit sowie aus der nur unzureichend beziehungs-
weise zu wenig differenziert durchgeführten Entnazifi zierung erwachsen könnte , nämlich
ein neuerlicher intellektueller Rückzug aus öffentlicher Verantwortung sowie die Abnei-
gung , sich mit dem Thema National sozialismus auf akademischen Boden inhaltlich kon-
kret auseinanderzusetzen :
“Two great dangers arise out of this situation. The first is related to the failures of the United
States and the British in de-nazification. We are the countries of common law , of equity , of
defense of the rights of each individual , yet in de-Nazification we attempted to solve a problem
calling for the exercise of our best judgment by applying a few general categories and statistical
averages to a highly complex situation. We violated our own tradition. We showed no apprecia-
tion for the complexity of motives involved in nonresistance and for the difficulty of gauging
individual responsibility in each case , especially among th academic group. After confusing the
whole matter , we dumped the problem into the lapse of the ill-prepared Germans and Austri-
ans. We and they for years to come will have to live with the effects , namely , a sense of injustice ,
a desire to shrink from responsibility in public life , an endeavor once again to survive by being
politically neutral. We have augmented the academic curse of the urge to separate knowledge
and life. The second danger in the present frame of mind of the intellectuals is seen in their
disinclination to teach about Nazism or Communism except as theory.”2293
Soweit das wissenschaftspolitische Resümee des US-Experten Eugene N. Anderson zur
Situation an den österreichischen Universitäten im Jahr 1949 gegenüber dem American
Council of Learned Societies ( ACLS ).
Ein weiterer , streng vertraulicher Bericht des U.S. Department of State , der bereits
im März 1946 an Anderson ergangen war , kam hinsichtlich der aktuellen Situation des
geistig-kulturellen Wiederaufbaues – allerdings unter aus schließ licher Bezugnahme auf
Deutschland , was dennoch Rückschlüsse auf die österreichische Situation zulässt – zu ei-
ner ähnlich kritischen Einschätzung. Das Memorandum , das Frederick H. Burckhardt2294
2293 Ebd., 99.
2294 Frederick H[ enry ] Burckhardt ( 1912–2007 ), Sohn deutscher Einwanderer , war Pädagoge am Bennig-
ton College sowie an der New York State University und zudem Vorsitzender des „American Council of
Learned Societies“ ( ACLS ). Ab 1946 / 47 war Burckhardt Mitarbeiter des State Department im Rah-
men der „Cultural-Exchange Programs“. Siehe : Frederick H. Burckhardt , a Prominent Educator , dies at
95. In : New York Times , 5. Oktober 2007.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741