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Die ideologische Überformung der US-Reorientierung
Die ersten Anläufe für die Schaffung gesetzlicher Grundlagen für ein breit angelegtes
kulturelles Austausch- und Reorientierungs-Programm waren bereits 1944 erfolgt.2378 Un-
terstützt durch das State Department unter Leitung von Secretary of State James F. Byrnes
und seinem Stellvertreter William Benton , hatte der demokratische Kongress abge ordnete
Sol Bloom2379 ( New York ) – Vorsitzender des „House Committee on Foreign Affairs“ –
am 15. Oktober 1945 im Kongress eine Gesetzesvorlage einge bracht ; sie zielte darauf ab ,
die schon während des Krieges erfolgten ersten Ansätze einer Auslandskulturoffensive für
Amerika durch das State Department2380 beziehungs weise das Office of War Information
( OWI ) aufzugreifen und nun , nach Ende des Krieges , auf eine breite Planungs- und Fi-
nanzierungsbasis zu stellen.2381
In der von Bloom eingebrachten Gesetzesvorlage , die auf einen „weichen“ Infor mations-
und Kulturtransfer ziviler edukativer Einrichtungen abzielte
– wie das im Übrigen auch das
State Department favorisierte
– sollte die Supervision des gesamten Programmes klar beim
Secretary of State liegen. Im zweiten Abschnitt der „Bloom-Bill“ hießt es dazu : „The Secre-
tary is authorized [ … ] to provide for the [ … ] preparation and dissemination abroad of infor-
mation about the United States , its people , and its policies , through press , publications , radio ,
motion pictures and other information media , and through information centers [ … ].“2382
Auf Grund politischer Skepsis seitens konservativer US-Kongressabgeordneter , die
in der Finanzierung einer großangelegten Kulturoffensive für das post-totalitäre Europa
ebenso wenig Sinn sahen , wie sie sich die Leitung einer derartigen Offensive durch das
als links-liberal eingestufte U.S. Department of State vorstellen konnten ,2383 fand der Ge-
2378 Vgl. Frank A. Ninkovich , The diplomacy of ideas. U. S. foreign policy and cultural relations 1938–1950 ,
Cambridge 1981 , 121.
2379 Sol Bloom ( 1870–1949 ), erfolgreicher Selfmademan jüdischer Herkunft , war seit den Dreißerjahren
als Demokrat politisch aktiv. Nach Kriegsende war Bloom als US-Repräsentant für die UNO und die
UNESCO tätig war ; von ihm stammen die ersten Worte der Präambel der UNO-Charter. Siehe : http://
bioguide.congress.gov/scripts/biodisplay.pl?index=B000565 [ Zugriff 30. 7. 2012 ]
2380 Mit Ende des Zweiten Weltkrieges wurden die beiden US-Informations- bzw. Propagandaein richtungen
„Office of Inter-American Affairs“ ( OIAA ) und das OWI unter Leitung von Secretary of State for Public
and Cultural Relations , William Benton , dem State Department unterstellt , wo die Aktivitäten zunächst
ausliefen. Anfang 1946 wurde mit dem Office of International Information and Cultural Affairs eine
Interimseinrichtung innerhalb des State Departments geschaffen , die allerdings in der Anfangszeit un-
ter großen finanziellen und personellen Schwierigkeiten litt. Vgl. Elder , The Information Machine. The
United States Information Agency and American Foreign Policy , a. a. O., 35.
2381 Burton Paulu , The Smith-Mundt Act : A Legislative History. In : Journalism Quarterly , Summer 1953 ,
300. Der Artikel basiert auf einer Dissertation des Autors an der University New York : Burton Paulu ,
Factors in the Attention to Establish a Permanent Instrumentality for Administration of the Internatio-
nal Broad casting Services of the United States ( Ann Arbor : University Microfilms , 1950 ).
2382 Ebd., 301.
2383 Anlässlich eines neuerlichen Versuchs , die Bloom-Bill Februar 1946 im Kongress durchzu bringen , cha-
rakterisierte der Vorsitzende des „House Rules Committee“ das State Department als „chock full of reds“.
Zit. nach : Ninkovitch , The diplomacy of ideas , a. a. O., 121.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741