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6. Endphase der Besatzung
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finden sich doch kaum vergleichbare Namen später herausragender Führungspersönlich-
keiten in Politik und Wirtschaft2718 beziehungs weise Wissenschaft.2719
Ohne hier auf die schwer zu fassenden , komplexen Adaptions- und Transferprozesse
eingehen zu können , die sich wohl zwischen positiver Adaptierung und Integration des
Erlebten bis hin zu womöglich auch partieller Abwehr und Ablehnung des Erfahrenen
bewegt haben
– dazu bedürfte es unter anderem eines eigenen Interview projekts mit noch
lebenden ZeitzeugInnen
–, ist nicht nur wegen der zum Teil schriftlich verfassten positiven
Rück meldungen davon auszugehen , dass die Aufent halte in Amerika das Amerikabild der
Kandidaten tendenziell positiv beein flusst und antikommunistische Positionen eher ver-
festigt als aufgeweicht haben. Schließ lich stand , wie auch die US-Militärs längst wussten ,
nicht nur die politische Führung längst verlässlich im ‚Western Camp‘.
Die Amerikaner waren in der öster reichischen Bevölkerung darüber hinaus vermutlich
auch die populär ste Besatzungsmacht und der Antikommunismus wohl ebenso konstitu-
tiv für die Nachkriegsidentität des Landes2720 wie die zuweilen auch klar dokumentier-
te Indiff erenz gegenüber dem Nationalsozialismus.2721 So zitierte Wagnleitner aus dem
2718 Eine Ausnahme ist der Biochemiker und spätere Wissenschaftsminister ( 1987–1989 ), Dr. Hans Tuppy
( geb. 1924 ), wie auch der bereits genannte Manfred Mautner Markhof Jr. Siehe S. 597 , Anm. 2536.
2719 Beispiele bzw. Zeitzeugen aus dem semi-prominenten Sektor wären hier etwa der deutsch-öster reichische
Erziehungswissenschafter Wolfgang Brezinka ( geb. 1928 ), der Professor für christliche Philosophie und
spätere Rektor der Universität Graz , Johann Fischl ( 1900–1996 ), der Botaniker Friedrich Ehrendorfer
( geb. 1927 ) oder der Nationalökonom und Präsident des Ver bands Öster reichischer Volkshochschulen
Richard Kerschagl ( 1896–1976 ).
2720 Vgl. Rathkolb , Die paradoxe Republik , a. a. O., 31 f. Vgl. dazu auch : Dieter Stiefel / Ingried Fraberger ,
Enemy Images. The Meaning of „Anti-Communism“ and Its Impor tance for the Political and Economic
Reconstruction in Austria after 1945. In : Günter Bischof / Anton Pelinka / Dieter Stiefel ( Eds. ), The
Marshall Plan in Austria (= Contemporary Austrian Studies VIII ), New Brunswick 2000 , 56–97.
2721 Seit dem September 1946 führte die USFA ISB-Survey Section Befragungen der Wiener Bevöl kerung
( Personen über 18 Jahre ) im amerikanischen Sektor zu deren Einstellung zum National sozialismus durch.
Zur Abklärung der grundlegenden Haltung wurde folgende Frage gestellt : „War der Nationalsozialismus
eine schlechte Idee oder eine gute Idee , nur schlecht ausgeführt ?“ Wie sich in der Untersuchung heraus-
stellte , wies die Meinungsentwicklung in den fünf Monaten ein negative Ten denz auf , mithin also eine
Abwendung von der demokratischen Reorientierung. Wie der Bericht feststellte , hätte sich die Frage-
stellung als „sehr wertvoll er wiesen“, denjenigen Bevöl kerungsteil zu erfassen , der demokratische Ideen
ablehnt oder mit der Meinungsäußerung zurückhält. Konkret ergaben die Umfrageergebnisse zwischen
August und Dezember 1947 auf die Frage „Der Nationalsozialismus war …“ folgendes Ergebnis ( n = 500 ):
gute Idee , nur schlecht
ausgeführt keine Meinung schlechte Idee
August 1947 38,7% 29,7% 31,6%
September 1947 34,0% 28,1% 37,9%
Oktober 1947 30,4% 23,2% 46,4%
November 1947 40,5% 10,6% 48,9%
Dezember 1947 51,0% 10,9% 38,1%
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741