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Schlussbemerkung 657
achteten demo kratiepolitischen Prinzipien der Freiheit des Individuums und der ‚freien‘
ökonomisch-wirtschaftlichen Entwicklung. Als idealtypische Richtschnur ( „role model“ )
fungierte dabei von Anfang an der „American way of life“.
In Anknüpfung an die erste Grundthese dieser Studie ließ sich zeigen , dass das Kern-
stück aller US-Reorientierungs-Konzepte , ob diese nun ziviler oder militärischer Natur
waren – quasi als conditio sine qua non – die vollständige Entnazifizierung aller Berei-
che der Gesellschaft bildete. Aufbauend auf der Grundlage personeller ‚Säuberungen‘ im
gesamten Bereich von Politik , Verwaltung , Medien , Kultur , Bildung und Wissenschaft
sollte – unter Meidung der Gefahr jedes „messianischen Komplexes“ ( Kandel / Kotsch-
nig )
– die langfristige Perspektive der Reorientierung auf ( supervidierte ) „Selbsterziehung“
und auf Einübung eines demo
kratischen ‚Habitus‘ abzielen. Von Anfang an setzten die zi-
vilen Reorientierungs-Experten , neben grundsätzlichen bildungspolitischen Maßnahmen ,
auch auf die erzieherische Wirkung und die soziale Prägekraft eines markt wirtschaftlich
organi sierten Alltagslebens. Die Herstellung stabiler wirt
schaftlicher , ökonomischer und
politischer Rahmen bedingungen sowie die Verbesserung der Lebensverhältnisse sollten
die Überlegenheit ( „superiority of the method“ ) des westlich-kapitalistischen Systems in-
dividuell erfahrbar machen und so selbst zu einem nachhaltigen Element der zivilgesell-
schaftlichen Reorientierung werden.
Obwohl sich für Österreich , initiiert durch die alliierte „Moskauer Erklärung“ über Ös-
terreich im November 1943 , bald eine Sonderentwicklung abzuzeichnen begann , und damit
der Weg für die lange Zeit wirksame beziehungsweise identitätsstiftende „Opfer-Doktrin“
der Zweiten Republik frei wurde , gingen die „Reorientierungs-Konzepte“ für Österreich
allerdings nicht nur vom grundsätzlich gleichen Durch dringungs grad der geistig-mentalen
Indoktrinierung durch den National sozialismus aus ; sie berücksichtigten darüber hinaus ,
zumindest anfangs , auch den Um stand , dass in Österreich vor dem „Anschluss“ bereits
tiefgreifende politische , kulturelle und bildungs politische Veränderungen durch das auto-
ritäre System des „Austro faschismus“
– so der von den US-Militärs verwendete Terminus
–
Platz gegriffen hatten.
Obwohl sich die Alliierten in ihren allgemeinen Deklarationen über die Entmilitari-
sierung und Entnazifizierung der Achsenmächte grundsätzlich einig waren , existierten
weder zu Kriegsende noch danach klare oder gar verbindliche Reglements für ein ge-
meinsames Vorgehen. Ebenso wie die gesamte Entmilitarisierung blieb dadurch auch der
Bereich der Entnazifizierung – von weiterführenden Reorientierungs-Maßnahmen ganz
Feinberg ( Eds. ), Citizenship and education in liberal-democratic societies. Teaching for cosmopolitan
values and collective identities , Oxford 2005 ; Bernard R. Crick ( Ed. ), Active Citizenship. What It Could
Achieve and How , Edinburgh 2009 ; Elizabeth Pinnigton , Learning citizenship by practicing democracy.
International initiatives and per spec tives , Newcastle 2010 ; zuletzt : Benedikt Wiedmaier / Frank Non-
nenmacher , Active citizen ship education. Internationale Anstöße für die Politische Bildung , Schwalbach
am Taunus 2011.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741