Seite - 43 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Die Burg im Garten
Die Ursprünge der modernen Burgen in Mitteleuropa liegen in
den aristokratischen Gärten an der Schwelle zum 19. Jahrhundert.
Hier wurde zuerst » Ritter « gespielt, hier ließ man künstliche Ru
inen errichten, die das Auge zugleich täuschen und doch bei nä
herer Betrachtung ihre Künstlichkeit spielerisch preisgeben soll
ten. Es ist bemerkenswert, dass wesentliche Charakteristika der
Burgen des 19. Jahrhunderts – darunter auch und vor allem die
oben skizzierten neuen Funktionen Museum, Mausoleum und
Monument – schon in diesen frühesten Beispielen auszumachen
sind, wenn auch im Lauf der Jahrzehnte die Sicht der Zeitgenos
sen auf das Mittelalter und seine Burgen ebenso einem Wandel
unterworfen war, wie das Streben nach » authentischer « Wieder
herstellung der Vergangenheit – ein Aspekt, der gerade bei den
Burgenbauten im Kontext der Denkmalpflege um 1900 eine zu
nehmend wichtige Rolle spielen sollte.
Dass die Mittelalterrezeption vor allem literarisch geprägt
war, beweist bereits das englische Gothic Revival. Bildende Kunst
und Literatur waren hier von Anfang an eng verwoben, wie das
Beispiel Horace Walpole zeigt : Der aristokratische Dilettant ließ
zwischen 1747 und 1791 nicht nur den mit gotischen Formen re
gelrecht experimentierenden – und mit zahlreichen Spolien und
Sammlungsobjekten ausgestatteten – Landsitz Strawberry Hill
in Twickenham bei London ausbauen, sondern veröffentlichte
1764 mit dem Schauerroman » The Castle of Otranto « die erste
Gothic Novel, die sich überdies der in Strawberry Hill realisierten
Schauplätze bedient.106 Walpoles Stawberry Hill wurde durch
ein Stichwerk weit über die Küsten Englands hinaus bekannt
gemacht, und ausgehend von den dortigen Landschaftsgärten
wurde das Mittelalter auch in den Parks jenseits des Ärmelka
nals in Gestalt mehr oder weniger phantastischer mittelalterli
cher Burgen und Burgruinen zur Mode, ohne die intellektuelle
Tiefe zu erlangen, die Walpoles Auseinandersetzung mit Stra
wberry Hill kennzeichnete.107 Die künstlichen Ruinen in den
Landschaftsparks um 1800 waren als » fingierte authentische
Denkmäler «108 ein erster architektonischer Ausdruck der ro
mantischen Begeisterung des 19. Jahrhunderts für die mittelal
terliche Burg und ihren vermeintlichen Bewohner, den Ritter –
einer Begeisterung, die zwar in erster Linie vom Adel ausging,109
jedoch bald populäre Dimensionen annehmen sollte : » Jetzt aber
erhoben sich ebenso viele künstliche Burgruinen und Burgen
gebäude, daß manche Gegenden damit rein übersäet sind, und
man nicht begreift, wie denn so viele Rittergeschlechter ne
ben einander haben hausen können, bis man die Entstehung im
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Burg im Garten
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258