Seite - 67 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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dem dies passiert, und die spezifische Form, mit der Mausoleum
und Museum inszeniert werden, sind allerdings einzigartig.
Den Dingen, die der Sammler zusammentrug, baute er mit
Kreuzenstein das im Wortsinn angemessene Futteral. Die imaÂ
ginäre Welt des Mittelalters wurde so zumindest temporär real
begehbar und zu einem Mittelpunkt in Wilczeks Leben. Doch im
Gegensatz zu zeitgenössischen literarischen Figuren wie dem deÂ
kadenten und exzentrischen Sammler Floressas des Esseintes in
Joris Karl Huysmans’ Roman » Ă€ rebours « von 1884, oder historiÂ
schen Persönlichkeiten wie König Ludwig II. von Bayern, die bisÂ
weilen zur Gänze in den » Milieus « der von ihren geschaffenen –
mittelalterlichen – Parallelwelten verschwanden, hielt Wilczek
stets Kontakt zur Prosa der Wirklichkeit. Die Zeitreise ins MitÂ
telalter war für ihn nur eine von vielen möglichen Handlungen ;
dadurch ist Kreuzenstein eben nicht nur aristokratischer Spleen,
sondern auch ein ernstzunehmendes Projekt, ein hypertropher
kulturgeschichtlicher Versuch im Burgenbau und im ZurĂĽckdreÂ
hen der Zeit, unbeeinflusst von den Niederungen beschränkter
finanzieller Mittel. Zu ihrer Zeit war diese Burg aber auch – durch
die selektive » Rekonstruktion « der idealisierten und verklärten
Welt des mittelalterlichen Ritters – subtile Kritik an der KulÂ
tur der Gegenwart. Wilczek war also keineswegs ein Sonderling,
wenn auch das Unternehmen, mitten im 19. Jahrhundert eine
Burg zu bauen, reichlich sonderbar erscheinen musste.
Der Sammler
Eine Fotografie von 1879 zeigt den Bauherrn von Kreuzenstein
in Kostüm und Pose des Haarlemer Garnhändlers Wilhelm van
Heythuysen, wie ihn Frans Hals zwischen 1625 und 1630 in LeÂ
bensgröße festgehalten hat. 〚 25 〛 Das berühmte Gemälde, heute
in der MĂĽnchner Alten Pinakothek, wurde damals in der GemälÂ
degalerie des FĂĽrsten Liechtenstein in Wien aufbewahrt. Dort
wird es Hans Graf Wilczek gesehen und sich dazu entschlossen
haben, fĂĽr eines der legendären Feste im Atelier des » MalerfĂĽrsÂ
ten « Hans Makart ( 1840 – 1884 ) zum Tableau vivant zu werden,
wobei das Bild als Kunstwerk von größerer Bedeutung war, als
die historische Person, die es darstellt : Wilczek verkleidete sich
als Gemälde. In zwei weiteren Fotografien mit nur leicht veränÂ
dertem Hintergrund hat Wilczek die Pose des Bildnisses abgelegt,
und sogleich tritt der Darsteller vor den Dargestellten. 〚 26 〛 Trotz
oder gerade wegen ihrer Faschingslaune geben diese Aufnahmen
Aufschluss über die Persönlichkeit des damals gut vierzigjährigen
Wilczek, der wenige Jahre zuvor mit dem Bau von Kreuzenstein
67Der
Sammler
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258