Seite - 175 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Die für Kreuzenstein formal und inhaltlich konstituierende
Zusammenführung des Zerstreuten ist zwischen den Polen von
Fragmentierung und Rekonstruktion aufgespannt – zentralen
Schlagwörtern aus dem Feld von Geschichte, Ästhetik, Kunst
und Wissenstheorie des 19. Jahrhunderts, die es notwendig ma
chen, den traditionell vor allem kunsthistorisch geprägten und
definierten Terminus » Spolie « hier in größeren Zusammenhän
gen zu betrachten. Als historische Fragmente einer zumeist na
menlosen, anonym gewordenen Vergangenheit vermitteln die
Spolien von Kreuzenstein Authentizität – und damit verbunden
auch eine auratische, mitunter magische Qualität, die das Bild ei
ner von den zerstörerischen Prozessen der Geschichte unbeein
trächtigten, gleichsam aus dem Fluss der Zeit herausgehobenen
mittelalterlichen Burg noch glaubwürdiger machen sollte. Da
rüber hinaus belegt die bisher noch nicht untersuchte Verwen
dung » authentischer « Objekte in der Architektur des 19. Jahrhun
derts die Bedeutung des historischen Fragments für die Kultur
jener Zeit ; mit einem solchen historischen » Fragmentarismus «
– zugleich » Stichwort und Aufbruchssignal der ästhetischen Mo
derne «526 – lassen sich auch, den künstlerisch unterschiedlichen
Zielsetzungen zum Trotz, Verbindungen zwischen dem 19. und
dem 20. Jahrhundert herstellen. Wenn im Folgenden also von den
Spolien, Fragmenten und Objekten von Kreuzenstein die Rede ist,
dann stets auch mit Blick auf den größeren Kontext einer Epoche,
die im Sammeln, Klassifizieren und Wiederzusammenfügen des
Bruchstückhaften einen ihr adäquaten Ausdruck fand.
Fragmentierung und Rekonstruktion
Das lateinische Wort » spolium « bedeutet sowohl die dem Feind
abgenommene Rüstung und andere Kleidungsstücke als auch – in
einem metaphorischen Sinn – Beute oder Raub. Der räuberische
Ursprung des Begriffs » Spolie « ist also evident, und es geht dabei
auch um einen Wandel der Funktionen : » Der Begriff Spolie setzt
voraus, daß der ursprünglichen Verwendung des Stückes ein Ende
gesetzt ist. «527 In der archäologischen und kunsthistorischen Ter
minologie ist die Spolie ein Gegenstand, zumeist ein Bauteil, der
aus einem älteren Kontext in einen jüngeren verbracht wird. Der
Ortswechsel, und sei die Distanz auch minimal, ist dabei wesent
lich : Es handelt sich bei Spolien in der Regel eben nicht um vor
Ort vorhandene Reste, etwa Fundamente, die ohne Aufwand in
den Neubau integriert werden, sondern um einzelne, zumeist aus
Stein, Erz oder anderem dauerhaften Material bestehende Arte
fakte, die von einem Standort zum anderen transportiert werden
175Fragmentierung
und Rekonstruktion
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258