Seite - 48 - in Kreuzenstein - Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
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Die Burg als Monument
Nicht nur der mittelalterlichen Burg, auch dem Burgenbau wurde
im Lauf des 19. Jahrhunderts immer größere öffentliche Auf
merksamkeit zuteil : Mittelalter wurde populär. Nach der Etab
lierung der künstlichen Burgen in den ebenso künstlichen Wel
ten der aristokratischen Landschaftsgärten wandte sich der Blick
allmählich den historischen Bauten selbst zu, die nun zum Ge
genstand groß angelegter Restaurierungs und Rekonstrukti
onskampagnen wurden. Waren zuvor authentische Bestand
teile in Gestalt von Spolien in die Gärten geschafft worden, um
aus ihnen neue Burgen zu bauen, so bildeten nun die vorhande
nen Reste vor Ort den Ausgangspunkt. Selbst im Fall vollständi
ger Burgen
Neubauten waren in der Regel zumindest marginale
Reste früherer Bauten vorhanden, die als materielle und ideelle
» Begründung « für den Neubau dienten. Aus einer privaten Lieb
haberei wurden öffentliche, auch politisch motivierte Großun
ternehmungen. Burgen wurden zu Monumenten eines » Volkes «,
das in der Rückschau auf das Mittelalter eine verlorene, nunmehr
wiederzugewinnende nationale Einheit zu finden hoffte. Dabei
sind regionale, institutionelle und personelle Differenzen zu be
rücksichtigen : Während der Burgenbau etwa im Einflussbereich
des deutschen Kaisers Wilhelm II. eine starke politisch
offizielle
Komponente erhielt, blieb er auf dem Territorium der Habsburger
meist privaten Initiativen vorbehalten. Eine einheitliche » Ideo
logie « des Burgenbaus lässt sich daher kaum festmachen, viel
eher schon die breite Rezeption des oben skizzierten, roman
tisch grundierten Mittelalterbildes und des allgemeinen Idealbil
des einer » Ritterburg « in diesen Bauten. In jedem Fall haben die
Restaurierungen und Wiederaufbauten des 19. Jahrhunderts un
ser heutiges Bild der mittelalterlichen Burg stärker geprägt, als es
uns zumeist bewusst ist.
Zu den aussagekräftigsten Projekten zählen Wiederaufbau
und Restaurierung der Wartburg bei Eisenach, in den Worten des
Bauherrn von Kreuzenstein » die romantischeste aller deutschen
Burgen «.124 Die 1838 begonnene Wiederherstellung als Museum
und Residenz des Großherzogs Carl Alexander von Sachsen
Wei
mar
Eisenach machte die Burg zu einem der ikonischen Bauwerke
des Mittelalters in Deutschland.125 Nach dem Willen des Archi
tekten Hugo von Ritgen ( 1811 – 1889 ) sollte die Wartburg » nicht
nur in das Ritterleben früherer Jahrhunderte versetzen «, son
dern als Schauplatz des » Sängerkriegs « und Aufenthaltsort Mar
tin Luthers ein würdiges Denkmal dieser bedeutenden Momente
deutscher Geschichte sein.126 Es war wohl nicht zufällig die in
» idealer « Form rekonstruierte Wartburg, die zum Bau der wohl
48 Mittelalterbilder
Kreuzenstein
Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Kreuzenstein
- Untertitel
- Die mittelalterliche Burg als Konstruktion der Moderne
- Autor
- Andreas Nierhaus
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- ISBN
- 978-3-205-79557-5
- Abmessungen
- 15.5 x 23.5 cm
- Seiten
- 258