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72 | Zeittypische Stilbildungen
zum 18. Jahrhundert einem wachsenden Spannungsfeld zwischen dem italienischen
und französischen Kunstschaffen ausgesetzt, was sich im Erscheinungsbild des Mobi-
liars jener Epoche deutlich widerspiegelt. Auf die überladenen Akanthusmöbel, die oft
keinerlei klare Strukturen zu erkennen geben, reagieren die Handwerker seit dem Be-
ginn des 18. Jahrhunderts mit einer Beruhigung der Formen, auf die schweren vegeta-
bilen Ornamentmotive wird zunehmend verzichtet, die Tiefe der Möbelfassaden und
Schnitzarbeiten nimmt ab. An Chorgestühlen wie jenen in Heiligenkreuz, St. Pöl-
ten, Dürnstein und Melk lässt sich das sehr gut ablesen. In Verbindung damit wäre
noch auf eine kurze Phase in den Jahren um 1730/35 aufmerksam zu machen, in der
nament lich im Osten Österreichs eine im Grunde antibarocke Stilströmung ein rela-
tiv schlichtes Äußeres von Möbeln zur Folge hatte. Stallen in der Göttweiger Chor-
kapelle und die dortigen Bibliotheksmöbel bestätigen das ebenso wie Sakristeimöbel
in der Schottenkirche zu Wien oder in der Zisterzienserkirche in Wiener Neustadt.
Pilaster, Säulen, Lisenen und pilasterartige Stützen
Das Interesse österreichischer Tischler galt im 17. und frühen 18. Jahrhundert na-
mentlich den Möbelfassaden, das Aussehen der Schmalseiten hielt man für zweitran-
gig. Konsequenterweise besitzen viele früh- und hochbarocke Möbelstücke zwar auf-
wendig gestaltete Fronten, aber einfache Stirnseiten.157 Der Einzelbeichtstuhl in der
Kremser Piaristenkirche sowie der Schrank in der Sakristei der Salzburger Dreifaltig-
keitskirche (Abb. 116) sind dafür gute Beispiele.
Möbelvorderseiten besaßen im 17. Jahrhundert das Aussehen von Architekturfas-
saden, Säulen, Pilaster und Lisenen verliehen den Inventarstücken die geforderte tek-
tonische Struktur.158 Gegen Ende des 17. Jahrhunderts wurde die tragende Rolle der
Stützensysteme aufgegeben, ein Motiv, das man in der ersten Hälfte des 16. Jahrhun-
derts im süddeutschen und österreichischen Möbelbau eingeführt hatte, verlor nach
knapp zwei Jahrhunderten seine frühere Bedeutung. Bedeckte nicht Akanthus die Mö-
bel, dienten Stützen zwar noch immer zur Gliederung der Flächen, doch formte man
sie nun zu »pilasterartigen« Bändern um. Die Sakristeimöbel von 1702/04 in St. Au-
gustin zu Wien, das Laiengestühl von 1706/09 in der Grazer Domkirche (Farbtaf.
19 ;
157 Im Norden war das anders. Schütz, Interieur (2009), Abb. 129, mit einem Gemälde von Pieter de
Hooch (1629–1684). Das 1663 entstandene Bild zeigt zwei Damen vor einem Wäscheschrank, dessen
Seiten ebenso kostbar wie die Vorderseite gearbeitet waren. Vgl. dazu auch von de Hoochs Gemälde
»Familie beim Musizieren« von 1663 im Cleveland Museum of Art [https://www.clevelandart.org/
art/1951.355 ; Zugriff Juni 2020].
158 Entsprechende Kastenmöbel werden als »Fassadenschränke« bezeichnet.
Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Sakralmöbel aus Österreich
Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus, Volume II: Kunstlandschaften im Norden, Süden und Westen
- Title
- Sakralmöbel aus Österreich
- Subtitle
- Von Tischlern und ihren Arbeiten im Zeitalter des Absolutismus
- Volume
- II: Kunstlandschaften im Norden, Süden und Westen
- Author
- Michael Bohr
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Date
- 2021
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-21246-1
- Size
- 17.0 x 24.0 cm
- Pages
- 628
- Keywords
- Baroque, applied arts, church furnishings, Barock, Kunsthandwerk, Sakralmöbel
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- Vorwort 11
- Teil 1 Vorbemerkungen
- Teil 2 Grundlegendes
- I. Die Auftragsvergabe 27
- II. Handwerker und Kunsthandwerker 35
- III. Künstlerische Inventionen, Modelle und Entwürfe 43
- Zur Geschichte 43
- Allgemeines 44
- Modelle für Sakralmöbel 45
- Die Frage nach der Urheberschaft von Entwürfen für Sakralmöbel 47
- Entwürfe und Modelle von Architekten und Baumeistern 47
- Entwürfe und Modelle von »Tischler-Architekten« 50
- Entwürfe und Modelle von Tischlern und Zimmerleuten 51
- Entwürfe von Bildhauern und Bildschnitzern 53
- Entwürfe eines Theateringenieurs und eines Theaterdekorateurs 53
- Entwürfe von Ornamentkünstlern und die Rezeption von Ornamentstichen 54
- Entwürfe von Stuckateuren und die Rezeption von Stuckarbeiten 55
- IV. Barocke Möbel und sakraler Raum 57
- V. Zeittypische Stilbildungen 69
- VI. Österreichische Kunstlandschaften und regionale
- Teil 3 Katalog – Beiträge zu den Sakralanlagen – Tafeln
- Hinweise 91
- Hinweise zu Provenienzen, Datierungen und Materialien 91
- Hinweise zu den angegebenen Maßen 91
- Hinweise zu den zitierten Schriftquellen 92
- I. Sakralbauten im Burgenland 93
- II. Sakralbauten in Kärnten 114
- Friesach, Stadtpfarrkirche hl. Bartholomäus 114
- Gösseling, Filialkirche hl. Michael 120
- Griffen, Ehemaliges Prämonstratenserstift 122
- Griffen, Alte Pfarrkirche Unsere Liebe Frau 122
- Griffen, Pfarr- und ehemalige Stiftskirche Mariae Himmelfahrt 125
- Gurk, Konkathedrale und Pfarrkirche Mariae Himmelfahrt 129
- Klagenfurt, Dom- und Stadtpfarrkirche St. Peter und Paul 146
- Loschental, Filialkirche hl. Josef 151
- Benediktinerstift St. Paul im Lavanttal 154
- Villach, Stadthauptpfarrkirche hl. Jakob d. Ä 171
- Völkermarkt, Stadtpfarrkirche hl. Maria Magdalena 177
- III. Sakralbauten in Salzburg/Stadt und Land 183
- Maria Plain, Wallfahrtskirche Maria Plain (Maria Himmelfahrt) 183
- Mattsee, Kollegiatstift 189
- Michaelbeuern, Benediktinerstift 196
- Salzburg, Benediktiner-Erzabtei St. Peter 206
- Salzburg, Dreifaltigkeitskirche 219
- Salzburg, Metropolitankirche hll. Rupert und Virgil 229
- Salzburg, St. Markus 244
- Salzburg-Mülln, Stadtpfarrkirche zu Unserer Lieben Frau Mariae
- Himmelfahrt 248
- IV. Sakralbauten in der Steiermark 255
- Frauenberg, Pfarr- und Wallfahrtskirche Mariä Opferung 255
- Graz, Barmherzige Brüder, Kloster und Spital 263
- Graz, Dom- und Pfarrkirche St. Ägidius 272
- Graz, Franziskanerkloster 289
- Graz, Pfarr- und Wallfahrtskirche Mariatrost 292
- Graz, Pfarrkirche St. Andrä 305
- Graz, Welsche Kirche / Kirche hl. Franz de Paula 309
- Gröbming, Pfarrkirche Mariä Himmelfahrt 312
- Mariahof, Pfarrkirche hl. Maria 323
- Neuberg an der Mürz, Pfarrkirche Maria Himmelfahrt 333
- Pöllau, Pfarrkirche St. Veit 347
- Pürgg, Pfarrkirche St. Georg 359
- Rein, Zisterzienserstift 365
- Rottenmann, Stadtpfarrkirche St. Nikolaus 381
- St. Lambrecht, Benediktinerabtei 386
- Vorau, Augustiner-Chorherrenstift 404
- V. Sakralbauten in Tirol 419
- Bad Mehrn, Filialkirche hl. Bartholomäus 419
- Brixlegg, Pfarrkirche Unsere Liebe Frau 424
- Innsbruck, Hofkirche zum hl. Kreuz 430
- Innsbruck, Jesuitenkirche zur hl. Dreifaltigkeit 437
- Innsbruck, Servitenkloster 449
- Kramsach, Maria Thal, Pfarrkirche hl. Dominikus 459
- Kundl, Filial- und Wallfahrtskirche St. Leonhard auf der Wiese 469
- St. Georgenberg, Benediktinerabtei 478
- Stams, Zisterzienserabtei 487
- Wilten, Prämonstratenser-Chorherrenstift 513
- VI. Sakralbauten in Vorarlberg 525
- Teil 4 Zusammenfassung und Ausblick – Glossar – Verzeichnisse – Literatur- Zusammenfassung und Ausblick
- Ziele der Untersuchung 551
- Zum strukturellen Aufbau der beiden Bücher 551
- Auftraggeber und Finanziers der Ausstattungen 552
- Wer waren die Tischler ? 553
- Wer waren die Entwerfer der Möbelgarnituren ? 555
- Zusammenarbeit von Tischlern mit anderen Gewerken 556
- Sakralmöbel und Ambiente 558
- Vermittlung und Weitergabe neuer Formen – Österreichische
- Kunstlandschaften 560
- Fazit und Ausblick 562
- Glossar 564
- Ortsindex 573
- Künstlerverzeichnis 577
- Abkürzungsverzeichnis 582
- Abbildungsnachweis 586
- Literaturverzeichnis 587