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Seine selbst oftmals apostrophierte Parteilosigkeit machte er etwa gegenüber
Manès Sperber stark; er sah sich selbst gern, darin dürfte er sich aber bis zu
einem gewissen Grad getäuscht haben, als unabhängig von staatlichen Institu-
tionen: „Ich hatte in Sachen Literatur eine Audienz bei [Bruno] Kreisky, mit dem
ich nach kurzem Mißtrauen seinerseits ganz gut zurechtkam. Er scheint aber
ungemein misstrauisch, igelhart defensiv und empfindlich zu sein. Ich bin weder
CVer [gemeint ist der Österreichische Cartellverband; Anm. d. Verf.] noch Mit-
glied in der ÖVP, sondern habe einfach Kontakte mit der Regierung gehabt, die
immerhin die ‚Gesellschaft‘ ermöglichte. [...] Nun habe ich nie Kontakte mit
Politikern gesucht, sondern um jene mit für mich zuständigen Regierungsmit-
gliedern gepflegt [sic].“52
Mit dem Bonmot über Kaiser Franz Josef, der einen Fragebogen zur „Steu-
erfassion“ ausfüllen musste und „Selbständiger Beamter“ in der Rubrik „Beruf“
eintrug, scheint Haider auch die Profession und Repräsentationsfunktion von
Kraus adäquat zu beschreiben; eventuell ist er auch als staatlich-privater Akteur
zu bezeichnen. Kraus hatte stets Scheu vor den politischen Institutionen, wie
dies in einer Tagebuchnotiz zum Ausdruck kommt: „Seit dem deutschen Militär
und den Nazis habe ich einen heftigen Widerstand gegen große Apparate – die
doch heute wichtiger sind denn je und immer wichtiger werden.“53
So war Kraus nicht generell ein Mann des Ausschlusses bestimmter politi-
scher und ästhetischer Richtungen, sondern eine Persönlichkeit, die sich selbst
als Träger des Ausgleichs in kulturellen Belangen sah, da er die restriktive nati-
onalsozialistische Kulturpolitik als Zeitzeuge miterlebt hatte. Obwohl er nicht
immer mit den progressiveren literarischen Verfahren jüngerer Autorinnen und
Autoren d‘accord war oder mit deren politischer Ausrichtung übereinstimmte,
hat er sie zumindest rezipiert und in den für ihn entscheidenden Punkten kri-
tisiert.
Dennoch ist seine politische Einstellung gekennzeichnet durch dezidierten
Antikommunismus, der ihn dennoch für ein, um einen Titel des von Kraus
bewunderten Friedrich Heer zu zitieren, „Gespräch der Feinde“ eintreten ließ.
In mancher Hinsicht war er seinen Zeitgenossen voraus, wie z. B. in der Annä-
herung an Schriftstellerinnen und Schriftsteller des Ostens und der Aufholung
der Versäumnisse österreichischer Kulturpolitik(en), wie in der Einladung von
Exilautorinnen und -autoren, dennoch blieb etwa die Anerkennung progressi-
ver literarischer Strömungen ein blinder Fleck in seiner literarischen Wahrneh-
mung, was sich auch aus der gesellschaftlichen Bedeutung, die er der Literatur
beimaß, ableitete (vgl. Kapitel 4.1).
52 Wolfgang Kraus an Manès Sperber, 26. Juni 1971, NL WK.
53 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 30. Juli 1975, NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Biographische Einführung 23
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437