Page - 26 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
Image of the Page - 26 -
Text of the Page - 26 -
Zand, [Gerhard] Fritsch, auch Helmut Schwarz verschwanden. […] Wen gibt es
heute in Wien? Weigel und Doderer, das zeigt sich jetzt deutlich, waren ein schlech-
ter Umgang für diese jungen Schriftsteller. Spätexpressionismus, Maniriertheit oder
Feuilletonismus und Boulevardgewohnheiten waren ein gefährlicher Einfluß. Die
Abwesenheit von Verlagen, von beweglichen Theatern – die Kellerbühnen sind
längst tot –, von handlungsfähigen Partnern[,] ließ lähmende Resignation aufkom-
men.62
In die ersten Nachkriegsjahre fallen auch Kraus’ ergebnislose Versuche, selbst
als Schriftsteller Fuß zu fassen. Er sandte Gedichte, die sich, soweit der Verfas-
ser dies übersehen kann, nicht erhalten haben, an Rudolf Felmayer, der die Spar-
te Lyrik in Otto Basils Kulturzeitschrift „PLAN“ betreute. Felmayer, seines Zei-
chens Lektor des Amtes für Kultur und Volksbildung der Stadt Wien sowie
Lektor für Lyrik in der Radio-Verkehrs-AG (RAVAG), gab ab Anfang der 1950er
Jahre in mehreren Folgen die Anthologie „Tür an Tür“ heraus, die die jüngere
Generation österreichischer Autorinnen und Autoren zu Wort kommen ließ. Er
gab Kraus einen ablehnenden Bescheid: „So nett Ihre reizenden kleinen Verse
auch sind, ich kann sie leider doch nicht zum Abdruck bringen.“63
Gemeinsam mit Kurt Benesch, später Mitarbeiter in der ÖGL, schrieb Kraus
zwischen 1956 und 1957 den Fortsetzungsroman Ein Herz will wandern, der
unter dem Pseudonym Stephan Heidenreich 1958 in der westdeutschen Zeitung
„Das grüne Blatt“ erschien. Dieser Kolportageroman handelt vom Ladenmäd-
chen Helga, das gemeinsam mit ihrer Freundin Irene von Frankfurt aus aufbricht,
um in Rom Karriere als Modedesignerin bei einem obskuren Charakter namens
Signore Niccolini zu machen, der sich aber als Schwerenöter entpuppt. Helga
wird in Rom wegen „Geheimprostitution“ festgenommen und erhält schließlich
vom Regisseur Becker, den sie bei einem Zwischenstopp im Münchner Künst-
lerviertel Schwabing kennengelernt hat, die Chance, als Schauspielerin in seinem
neuesten Film mitzuwirken und avanciert schlussendlich zum Filmstar.
Kraus wandte sich dieser boulevardesken Art der schriftstellerischen Produkti-
on aber nur einmalig zu, hatte er doch bereits in der zweiten Hälfte der 1940er
Jahre einen Beruf ergriffen, der den Grundstein für seine spätere Karriere legen
sollte: Noch während seiner Studienzeit arbeitete er als externer Mitarbeiter im
Wiener Ullstein-Verlag unter Edwin Rollett, wo er nach anfänglicher Tätigkeit
als Korrektor zum Lektor aufstieg sowie schriftliche und persönliche Verhand-
lungen mit Autorinnen und Autoren führte. Später sollte er auch die Vertriebs-
und Reklameabteilung mitbetreuen. Rollett war eine zentrale Figur im literari-
62 Ders.: Tagebuch, 21. September 1977, NL WK.
63 Rudolf Felmayer an Wolfgang Kraus, 25. Juli 1946, NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
26 Einleitung
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437