Page - 29 - in Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
Image of the Page - 29 -
Text of the Page - 29 -
„arisiert“ und an einen hochrangigen Funktionär der Reichsschrifttumskammer,
Karl Heinrich Bischoff, verkauft.74
Paul Zsolnay, der ins britische Exil flüchtete, assoziierte sich mit dem in Lon-
don ansässigen Heinemann-Verlag. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs über-
nahm Emil Fuchs kurzfristig die öffentliche Verwaltung des Verlags, bis dieser
als rechtmäßiges Eigentum wieder Paul Zsolnay zugeführt wurde.75 Bis Juli 1946,
dem Gründungsdatum des neuen Paul-Zsolnay-Verlags, trat der Verlag aller-
dings noch unter dem Doppelnamen „Karl
H. Bischoff-Verlag (Paul Zsolnay-Ver-
lag)“ auf. Der Verlag gehörte nun dem Konzern der Firma Heinemann & Zsol-
nay in London an, welcher auch eine Niederlassung in Paris sowie eine enge
Anbindung an den Züricher Artemis-Verlag hatte. Kraus verschweigt in seinen
Erinnerungen jedoch, dass der Verlag in der Produktion nach 1945 auf bewähr-
te Hausautorinnen und -autoren zurückgriff, darunter auch solche wie Her-
mann Graedener, Karl Hans Strobl oder Hermann Stuppäck, die mit dem Nati-
onalsozialismus sympathisiert hatten. Felix Hubalek, Literaturkritiker der
„Arbeiter-Zeitung“, kritisiert anlässlich des 25-jährigen Verlagsjubiläums 1948:
„In den bitteren Jahren nach 1938 sind an ihre Stelle andere getreten, was die
Konjunktur und Hochverräterei an der Heimat und am Geiste bei den neuen
Herren des Verlages Eingang finden ließ. Manch einer brauchte nur die Gesin-
nung. Und zu unserem Erstaunen begegnen wir manchen von diesen auch noch
im neuen Verlagsverzeichnis.“76 Dennoch blieb der Verlag, wie der Schriftstel-
ler Hermann Schreiber meint, „der Sehnsuchtsverlag aller österreichischen
Autoren“ und die von Zsolnay verlegten Bücher konnten sich „in Wien der
Beachtung sicher sein“.77
Kraus war neben seiner Tätigkeit als Lektor bald auch Leiter der Presseabtei-
lung und Vertriebsleiter, „was unter der abenteuerlichen Improvisation des Auf-
bruchs nicht außergewöhnlich“78 schien. Er betreute u. a. die Werke von Exilau-
toren wie Max Brod und Leo Perutz, ebenso stellte sich ihm damals der Enkel
des Heimatschriftstellers Johannes Freumbichler, Thomas Bernhard, vor. Kraus
wurde durch seine Arbeit im Zsolnay-Verlag auch hinsichtlich seines späteren
Engagements für exilierte Autorinnen und Autoren sozialisiert: „Ich lernte dort,
daß es ohne die Welt von gestern jene von morgen nicht geben wird.“79
74 Vgl. Andrea Schwarz: Buchmarkt und Verlagswesen in Wien während der Besatzungszeit
1945–1955, Bd. III. Univ.-Diss. Wien 1992, S. 1415.
75 Vgl. Murray G. Hall: Der Paul Zsolnay Verlag. Von der Gründung bis zur Rückkehr aus dem
Exil. Tübingen: Niemeyer 1994 (= Studien und Texte zur Sozialgeschichte der Literatur 45).
76 Felix Hubalek: 25 Jahre Paul-Zsolnay-Verlag. In: Arbeiter-Zeitung, 14. November 1948, S. 6.
77 Hermann Schreiber: Ein kühler Morgen. München, Wien: Drei Ulmen 1995, S. 134.
78 Kraus: Der helle Horizont. In: Hall (Hg.): 70 Jahre Paul Zsolnay Verlag, S. 13.
79 Ebd.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Biographische Einführung 29
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437