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Literaturbegriffs von außen durch, wobei hier vor allem die Jahre 1966 bis 1968
zentral sind.131 Diejenigen Autorinnen und Autoren, die mit ihren nuancierten
Poetiken und avancierten Schreibweisen zu dieser Entwicklung beitrugen, sol-
len im nächsten Abschnitt Erwähnung finden.
Es gilt in diesem Kontext zu beachten, dass in den 1960er Jahren eine Kette
von aufsehenerregenden Skandalen das kulturelle Feld durchzog, in denen die
Literatur als Provokation, Schock und Affront inszeniert wurde und die Litera-
tin bzw. der Literat zum „Bürgerschreck“ avancierte. Die Aktion „Kunst und
Revolution“, die am 7. Juni 1968 im Neuen Instituts-Gebäude der Universität
Wien stattfand, erhitzte die konservativen Gemüter. Diese in den Medien als
„Uni-Ferkelei“ bezeichnete Aktion, an der Günter Brus, Otto Muehl, Peter Wei-
bel und Oswald Wiener beteiligt waren, hatte ein gerichtliches Nachspiel und
teilweise auch Haftstrafen zur Folge. Zwischen 1960 und 1970 fallen die ersten
Vorzeichen des Aufstands der österreichischen „Avantgarde“ und die 68er-Be-
wegung artikuliert ihre Unzufriedenheit mit staatlichen und gesellschaftlichen
Autoritäten. Kulturpolitisch fand sich die „Avantgarde“ in die Ecke gedrängt
und hintertrieben, denn Preise und Stipendien wurden nahezu exklusiv an Auto-
rinnen und Autoren jenseits der vierzig vergeben, während der ORF, Verlage,
Theater und Zeitschriften sich für ihre Veröffentlichungen verschlossen.132 Als
am 1.
Mai die traditionelle Maifeier der SPÖ am Wiener Rathausplatz durch lin-
ke Demonstranten gestört wurde, ließ der Wiener Bürgermeister Marek den
Platz durch die Polizei räumen und der ÖVP-Innenminister Franz Soronics gab
die Parole „Keine Milde bei Tumulten!“ aus, was die Verhinderungsmechanis-
men und Abwehrstrategien von öffentlicher Seite charakterisiert.
Vorsichtige Öffnung
Die ÖGL ging im Veranstaltungsprogramm der Saison 1966 vermehrt auf die
avantgardistischen Autorinnen und Autoren ein, sie öffnete sich in ihrer Einla-
dungspolitik zunehmend. Friedericke Mayröcker und Ernst Jandl hatten ihren
ersten gemeinsamen Auftritt am 17.
September.133 Während Mayröcker aus ihrem
Gedichtband Tod durch Musen vorlas, gab Jandl Gedichte aus Laut und Luise
zum Besten. Im November 1969 trat Mayröcker neben H.
C. Artmann und Gert
Jonke im Rahmen der Präsentation der von Handke im Residenz-Verlag her-
131 Vgl. Schmidt-Dengler: Bruchlinien, S. 220 f.
132 Vgl. Marianne Baltl: Chronique Scandaleuse. Literatur in Österreich 1966–1970: Dokumente
und Analysen. Univ.-Diss. Wien 1990.
133 Vgl. Harald Sterk: Buchpremiere: Lyrik in zwei Tonarten. In: Arbeiter-Zeitung, 18.
September
1966, S. 6.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 117
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437