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te. Alker führt an, dass dies nicht überbewertet werden solle, da Kraus für Fritsch,
wie dieser in seinem Tagebuch festgehalten hat, einer „der wenigen“ sei, „mit
denen man sich ernsthaft über Literatur unterhalten kann“; dennoch zeige es
Fritsch auf einer „institutionell einsamen Position“235. Dies ist jedoch insofern
zu korrigieren, als sich auch Kraus gegenüber dem Ministerium verantworten
musste, was „Wort in der Zeit“ betraf. In einer Notiz an Weikert bittet Kraus, ihn
„beim augenblicklichen Stand der redaktionellen Organisation für nichts ver-
antwortlich“ zu machen, da er, wenn er Fritsch wiederholt bitte, ihm „Aufschluss
über den Inhalt der jeweils nächsten Nummer zu geben“, er nur „verbale Bereit-
willigkeit“ höre und „die Tat“ bisher nicht erfolgt sei:
Ich persönlich halte es für grotesk, dass das Ministerium, welches das ganze Projekt
überhaupt erst ermöglicht, keinerlei Stimme bei der Gestaltung des Inhalts haben
soll. Es zeigt sich eine gewisse Monotonie in den Namen der Mitarbeiter, deren Kreis
leicht erweitert werden könnte. Mir fällt das Überhandnehmen linker Mitarbeiter
auf[,] Hans Heinz Hahnl […], Reinhard Federmann und Milo Dor. Ich halte es für
richtig, dass diese Leute mittun, sie dürfen aber keinen Schwerpunkt bilden.236
Kraus fand auch, dass das Veranstaltungsprogramm der ÖGL zu wenig Berück-
sichtigung fand und hoffte, dass sich die Situation ab September 1962 ändere,
wenn „Herr Fritsch unser Nachbar wird“.237 Er bat Weikert auch, bei Zerling zu
intervenieren, damit Fritsch dann jedes Heft rechtzeitig mit ihm besprechen
könne. Dies macht Kraus in gewissem Sinne zu einem Mitredakteur, der den
kulturpolitischen Weisungen von „Oben“ in vorauseilendem Gehorsam folgte.
Zwischen Kraus und Fritsch dürfte sich im Laufe der Zeit durchaus eine Art
Vertrautheit entwickelt haben, was sich nicht nur an den Urlaubskarten, die
Kraus an Fritsch geschrieben hat, zeigt, sondern ebenso an Briefen wie den fol-
genden: „Nachdem die ‚Gesellschaft‘ mit dem Schildchen ‚gesperrt‘ versehen
wurde, merke ich erst, wie sehr mich das alles belastet […]. Ich habe in den paar
Tagen mehr gearbeitet, als sonst in einem Monat.“238
Gemeinsam fungieren die beiden, mit Unterstützung von Herbert Zand und
Hans M. Loew, als Herausgeber von „Gedichten einer jungen österreichischen
Generation“, die als Anthologie unter dem Titel Frage und Formel 1963 im Salz-
235 Stefan Alker: Knapp daneben ist auch dabei – Gerhard Fritsch und die Schaltstellen der öster-
reichischen Literatur. In: Modern Austrian Literature 42 (2009), H. 4, S. 1–21, hier S. 9.
236 Wolfgang Kraus: Notiz für Ministerialrat Dr. Weikert, 28. Juni 1962, ÖGL-Archiv.
237 Ebd.
238 Wolfgang Kraus an Gerhard Fritsch, 12.
August o.
J., Wienbibliothek im Rathaus, Handschrif-
tensammlung, Nachlass Gerhard Fritsch, ZPH 1203, Archivbox 29 [im Folgenden als NL GF
zitiert].
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 147
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437