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später an Hans Weigel: „Der Sumpf namens Stiasny-Verlag ist durchaus nicht
undurchschaubar. Der Prozeß gegen den Sektionschef Weikert, an dem ich nicht
unbeteiligt war, auch nicht an seiner Auslösung, hat einiges zur Klarheit
gebracht“.253
Kraus selbst sagte beim Prozess zugunsten von Weikert aus und erklärte, dass
die Konsulententätigkeit des wissenschaftlich und literarisch versierten Ange-
klagten für den Stiasny-Verlag seiner Ansicht nach von größter Bedeutung gewe-
sen seien.254
Der Verlust der Subventionen trug zum Konkurs des Stiasny-Verlages bei, an
dessen Ende der Doppelselbstmord des Ehepaars Gerhard und Erika Zerling stand.
Kraus schrieb in einem Artikel, dass dieses Ende „weit über die persönliche Tra-
gödie hinaus aufschlussreiche Bedeutung“255 habe. Immerhin habe Zerling in einer
mehr als hundert Bände umfassenden Paperback-Reihe zu einem sehr frühen
Zeitpunkt eine Auswahl der Werke Canettis verlegt (auch wenn die Einleitung,
wie man heute weiß, nicht von Erich Fried, sondern vor allem von Veza Canetti
verfasst wurde), zudem Ödön von Horváth, George Saiko, Heimito von Doderer
und Christine Lavant – bis Anfang der Sechzigerjahre fehlte kaum ein wichtiger
österreichischer Name. Mit Zerlings Selbstmord, der nach dem Weikert-Skandal
seinem Verlag selbst Millionen zuschießen musste, um die Verkaufsdefizite aus-
zugleichen, endete, so Kraus, „eine Zeit kühner kultureller Visionen“.256
Es wurde von vielen Seiten versucht, für „Wort in der Zeit“ einen neuen Ver-
lag zu finden. Henz beschloss, die Zeitschrift ab Jänner 1966 nicht mehr bei Sti-
asny herauszubringen, es ginge ihm „darum, ein Werk zu retten und auf dem
erreichten Stand zu halten“.257 Unterrichtsminister Piffl-Perčević meldet Henz
am 3. Oktober 1966, dass er dazu verpflichtet gewesen sei, „nach der Affaire
W[eikert].-Stiasny rasch“ einzugreifen und „auf eine neue Literaturzeitschrift
gedrängt“ habe, weil es darum gegangen sei, „die einzige österreichische Litera-
turzeitschrift, die vor allem im Ausland ausgezeichnet eingeführt war, mit Hilfe
von Subventionen zu erhalten“.258
Züchten Sie keine Subventionitis!‘ Die damalige Antwort des für den Sektionschef in die Bre-
sche springenden Sektionsrates war jämmerlich. Ich schrieb in derselben Sache an den Unter-
richtsminister. Dieser schwieg. Jetzt schweigt er auch. Eine neue ‚Rede wider den Geist‘ wäre
fällig. Drimmels Sektionschef sitzt bereits in Haft. Wann kommt das dicke Ende?“
253 Viktor Matejka an Hans Weigel, 15.
Februar 1979, Wienbibliothek im Rathaus, ZPH 830, Nach-
lass Viktor Matejka, Archivbox 11.
254 Vgl. N.
N.: Zeugen entlasten den Sektionschef. „Seine Mitarbeit war wertvoll“ – Weikert nahm
Kontakte zum Osten auf. In: Volksblatt, 3. März 1967.
255 Wolfgang Kraus: Zum Selbstmord eines verdienstvollen Verlegers. Die Tragödie eines vergeb-
lichen Versuchs. Ms. Ts., August 1969, NL WK.
256 Ebd.
257 Rudolf Henz an Stiasny-Verlag, 11. Dezember 1965, NL RH, Karton 19/V.
258 Rudolf Henz an Theodor Piffl-Perčević, 3. Oktober 1966, ebd.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 151
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437