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geschichte (1964) und der Dokumentationsstelle für neuere österreichische Lite-
ratur (1967) ein Wandel in der historischen Selbstwahrnehmung der Zweiten
Republik einher. Wenn man in Betracht zieht, dass bis in die 1970er Jahre hin-
sichtlich der österreichischen Vergangenheitsaufarbeitung eine „klare Priorität
des Widerstands vor dem Exil“292 herrschte, ist die Tätigkeit der ÖGL als vor-
bildlich, zumindest bis zu einem gewissen Grad als wegweisend zu bezeichnen,
auch wenn sie kulturpolitischen Rahmenbedingungen unterworfen war und
daneben noch zahlreichen andere Funktionen nachzukommen hatte.
In die Zeit zwischen Ende der 1950er Jahre und 1970er Jahre fiel die Periode
der Kanonisierung der österreichischen Literatur des 20.
Jahrhunderts, worun-
ter sich zahlreiche Schriftstellerinnen und Schriftsteller befinden, denen die
Erfahrung des Exils gemeinsam ist, wie Hermann Broch, Elias Canetti, Robert
Musil, Franz Werfel und Stefan Zweig. Zwischen dem, „was als österreichischer
Beitrag zur Weltliteratur angesehen wurde, und dem, was im kulturellen Alltag
in Österreich Geltung besaß“, klaffte, wie Kaiser bemerkt hat, eine „erhebliche
Spanne“, was „für die kulturelle Situation signifikant scheint“.293
Johann Holzner hat darauf hingewiesen, dass auch die österreichische Ger-
manistik aus politischen Gründen durchaus Anteil an der verspäteten Rezeption
von Exilautorinnen und -autoren hat.294 Noch 1999 bemerkt Joseph Strelka in
einer Fußnote in Zemans österreichischer Literaturgeschichte, dass die Exilfor-
schung ein „einziges tagespolitisches Propaganda-Reservoir ideologischer Lei-
tideen von Kommunisten, Fellowtravellers und ihren Liebdienern und Nachbe-
tern“295 sei.
Kulturelle Nostalgie oder Engagement?
Allerdings bleibt die berechtigte Frage, wer „mehr zum kulturellen Erbe und der
Einheit Österreichs beigetragen“ hat, „als die in die Emigration gezwungenen
Produzenten kulturell bedeutender Kunstwerke“296 und dies hat sicher auch
292 Ebd., S. 179.
293 Kaiser: Phasen der Rezeption und Nicht-Rezeption des Exils in Österreich. In: Adunka, Roess-
ler (Hg.): Rezeption des Exils, S. 26.
294 Vgl. Johann Holzner: Die österreichische Germanistik und die Exilforschung. In: Adunka,
Roessler (Hg.): Rezeption des Exils, S. 76.
295 Joseph Strelka: Die österreichische Exilliteratur seit 1938. In: Herbert Zeman: Geschichte der
Literatur in Österreich von den Anfängen bis zur Gegenwart. Bd. 7: Das 20.
Jahrhundert. Graz:
Akad. Dr.- u. Verl.-Anst. 1999, S. 223–429, hier S. 718 [Fußnote 120].
296 Josef Czaplicka: Emigranten und Verbannte. Eine Einleitung zum Thema. In: Ders. (Hg.):
Emigrants and Exiles. A Lost Generation of Austrian Artists in America, 1920–1950. Evanston:
Mary and Leigh Block Gallery, Northwestern Univ. 1996, S. 33–69, hier S. 43.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
160 Die Österreichische Gesellschaft für Literatur (1961–1975)
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437