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dokumentiert werden sollte. Der Brennpunkt des Interesses war das „Verhalten
zu den Autoren des renouveau catholique in Deutschland, Frankreich, England“
innerhalb der neueren Literatur und auch, von welchen Autorinnen und Auto-
ren noch Werke greifbar bzw. wieder aufgelegt worden waren. Das Verhältnis
der neueren Literatur „zu älterer christlicher Literatur“, darunter Dante Alighie-
ri, Pedro Calderón de la Barca, den deutschen Romantikern und auch Annette
von Droste-Hülshoff, sollten Revision erfahren. Schließlich war geplant, auch
mit den Medien zu kooperieren, eben eine „Bestandsaufnahme, Kontaktpflege,
Vermittlung“, die zwischen „Kirchenfunk, ‚Kulturelles Wort‘, ‚Wort am Sonntag‘,
Kirchenpresse, Katholische[n] Akademien, Zeitschriften, Universitäten“ herge-
stellt werden sollte: „Eine der zentralen Aufgaben hier ist die Entdeckung und
Förderung von begabtem Nachwuchs.“109
Das „Literaturbüro“ wurde im Februar 1984 etabliert, als Standort war die
Katholische Akademie in München festgelegt worden.110 Doch fand Kraus bald
keinen Gefallen mehr an Schwab, dem Leiter des Büros, dessen politische Hal-
tung zwischen Heinrich Böll und Luise Rinser111 oszilliere. Er versuchte bei Mai-
er zu intervenieren, wie er Werner Ross berichtete, der politisch eher Kraus’
„Sprache“ gesprochen haben dürfte: „Ich bin überzeugt, es ist notwendig, daß
auch Sie ihm schreiben, möglichst ohne sich auf meinen Brief zu beziehen […].
Mir hat die Sitzung noch schwere Sorgen gemacht. Eine solche abstrakte Wirr-
köpfigkeit, die auch noch mit Opportunismus vermischt und Appellen an das
eigene Gewissen garniert ist, stört mich sehr. Wir wollen doch nicht ein Büro
gegründet haben, das die Front derer verstärkt, die wir zurückzudrängen geplant
haben.“112
Schwab dürfte seine „Position“ geändert haben, denn Kraus sandte ihm eine
Liste von österreichischen Autoren und Autorinnen, die er in die Karteiliste des
„Literaturbüros“ aufgenommen wissen wollte.113 Diese versammelte u. a. Ilse
Aichinger, Alois Brandstetter, Christine Busta, Jeannie Ebner, Herbert Eisen-
reich, Hermann Friedl, Gertrud Fussenegger, Fritz Habeck, Kurt Klinger, Mat-
thias Mander, Peter Marginter, Erika Mitterer, Franz Rieger, György Sebestyén,
Evelyn Schlag, Jutta Schutting und Ilse Tielsch. Die Stellung als Berater des bay-
erischen Ministers dürfte nicht von Dauer gewesen sein, darüber hinaus kam
109 Wolfgang Kraus: Arbeitsprogramm für Literaturbüro, ÖGL-Archiv.
110 Ders.: Tagebuch, 18. Februar 1984, NL WK.
111 Vgl. ders.: Tagebuch, 30. Juni 1985, ebd. Luise Rinser, eine der führenden Stimmen des west-
deutschen Linkskatholizismus, war eine politisch ambivalente Figur, ihre Verstrickungen wäh-
rend des Dritten Reichs wurden erst spät bekannt. Vgl. José Sánchez de Murillo: Luise Rinser.
Ein Leben in Widersprüchen. Frankfurt/M.: Fischer 2011.
112 Ders. an Werner Ross, 18. Februar 1985, ÖGL-Archiv.
113 Ders. an Hans-Rüdiger Schwab [Literaturbüro, Katholische Akademie in Bayern], 3.
Juli 1985,
ÖGL-Archiv.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
222 Wolfgang Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437