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mit der Note Eins gewonnen haben. Keiner wird je unsere unsterblichen Schi-
siege bei der Olympiade […] vergessen.“123 Eventuell war Kraus die literarische
Zitate- und Montagetechnik der späteren Nobelpreisträgerin zu destruktiv und
die totale Negation, zu der sich Jelineks Werk bekennt, vernachlässigbar. Bezüg-
lich dieser Autorin, so ist festzuhalten, hat er sich hinsichtlich der gesellschafts-
politischen Relevanz des Werkes getäuscht, wobei er jedoch nicht der einzige
österreichische Literaturbetriebsfunktionär war, zählte Jelinek doch zu den am
„meisten angefeindeten Autorinnen des Landes“,124 da sie Patriarchat, Kapitalis-
mus, Faschismus sowie den bürgerlich-christlichen Humanismus verabscheut.
Sogar anlässlich der Verleihung des Nobelpreises für Literatur 2004 wurde sie
vom „Osservatore Romano“, der Zeitung des Vatikans, als Exponentin des Nihi-
lismus denunziert, vor dem die Leserinnen und Leser zu schützen seien.125
Kraus ließ sich in seiner Perspektive auf die Literatur von einem fixen Instru-
mentarium von ideengeschichtlichen, ideologischen und ästhetischen Prämis-
sen leiten, darunter ein antitotalitärer Gestus, der um den Dialog mit den östli-
chen Nachbarn bemüht war, insofern sich diese in sein rückwärtsgewandtes
Konzept eines österreichischen Kulturraumes eingliedern ließen, einem stets als
Unterströmung präsenten Katholizismus sowie einem Skeptizismus gegenüber
ästhetisch nuancierten Schreibweisen, denen er, im Gegensatz zu traditionalis-
tischen Schreibweisen, eher wenig Bedeutung zumaß. Diese Elemente seines
Habitus sind jedoch im Wesentlichen dem großen Konzept der kulturgeschicht-
lichen Strömungen, die sich noch aus der Habsburger Monarchie ableiten, unter-
geordnet. Im Beharren auf diesen verinnerlichten Werten, die für Kraus bezüg-
lich der Literatur unabdingbar waren und der dagegen geduldig tolerierenden
bis abwertenden Haltung experimentellen Schreibweisen gegenüber, offenbart
sich Kraus als Konservativer, dem es um nichts weniger als die Konstituierung
einer Weltliteratur aus dem Kanon des mitteleuropäischen Kulturraumes zu
schaffen war.
Das nachfolgende Kapitel soll seine Tätigkeit als Literaturkritiker darstellen
sowie sein Auswählen und Bewerten in diesem Prozess, um seine Praxis und
seinen Umgang mit Literatur näher zu beleuchten.
123 Elfriede Jelinek: Oh Wildnis, oh Schutz vor ihr. Prosa. Reinbek/H.: Rowohlt 2004, S. 153.
124 Zeyringer, Gollner: Eine Literaturgeschichte, S. 709 f.
125 Vgl. Pia Janke: Debatten und Skandalisierungen. In: Dies. (Hg.): Jelinek-Handbuch. Unter Mit-
arbeit von Christian Schenkermayr und Agnes Zenker. Stuttgart, Weimar: Metzler 2013, S.
335–
340, hier S. 339.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Avantgarde und Provinzialismus 225
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437