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giert Kraus einen Autor, der ganz bewusst „gegen die in Österreich so virulente
und vor allem in der Bundesrepublik Deutschland […] wahrgenommene Avant-
garde polemisierte, und dies nicht selten unter Berufung auf Doderer“, der ihn
auch förderte, während für Tramin etwa die „Wiener Gruppe“ ebenso wie Ernst
Jandl, Friederike Mayröcker und Andreas Okopenko als „die Nichtskönner
schlechthin“ galten, die sich „in der fruchtlosen Wiederholung dadaistischer
Praktiken ergingen“.152
Überblickt man Kraus’ literaturkritisches Œuvre, ist zu konstatieren, dass sei-
ne Kritiken quantitativ und qualitativ Autorinnen und Autoren gewidmet sind,
die der österreichischen Avantgarde ästhetisch und stilistisch diametral gegen-
überstanden. Auffällig ist, dass ein Gros der Autorinnen und Autoren vielmehr
als Akteurinnen bzw. Akteure innerhalb des institutionalisierten Literaturbe-
triebs in literaturgeschichtlicher Erinnerung geblieben sind, so z. B. Jeannie
Ebner als Redakteurin von „Literatur und Kritik“ oder Humbert Fink als Mit-
begründer des Ingeborg-Bachmann-Wettbewerbs. Vermerkt sei jedoch, dass an
diesen Autorinnen und Autoren in jüngster Zeit wieder reges Interesse besteht,
wie etwa die Neuauflage der Werke Hannelore Valencaks153 oder Peter von Tra-
mins154 zeigen.
Dass Kraus Autorinnen und Autoren, auch jene, die der Avantgarde angehörten,
immer wieder in finanzieller Hinsicht unterstützt hat, komplementiert seine lite-
raturkritische Tätigkeit und soll überblicksmäßig dargestellt werden. Kraus war
intermittierend zwischen staatliche Stellen und die Schreibenden geschaltet, wenn
es um Prinzipien der Förderung ging. Es lässt sich etwa nachweisen, dass Ansu-
chen von Autorinnen und Autoren für Arbeitsstipendien des Unterrichtsminis-
teriums ab den 1960er Jahren über Kraus liefen, wobei eine genaue Anzahl nicht
ermittelt werden konnte. Als ein Beispiel soll ein Schreiben von Gerhard Fritsch
an Kraus angeführt werden, in dem er ausführt, dass Alfred Weikert, Ministeri-
alrat im Unterrichtsministerium, „von Ihnen eine befürwortende Stellungnahme
zu dem Gesuch um ein Arbeitsstipendium haben möchte“; er bittet Kraus um
„ein paar befürwortende Zeilen“, da eine „günstige Erledigung“ ihm „einigerma-
Augsburger Allgemeine, 30.
November; National-Zeitung Basel, 28.
Dezember; Bremer Nach-
richten, 9. November; Hannoversche Allgemeine, 28. September.
152 Wendelin Schmidt-Dengler: Zur Poetik der kleinen Form: Heimito von Doderer und die „Wie-
ner Gruppe“. In: Kai Luehrs-Kaiser, Gerald Sommer (Hg.): „Schüsse ins Finstere“. Zu Heimito
von Doderers Kurzprosa. Würzburg: Königshausen & Neumann 2001 (= Schriften der Heimi-
to von Doderer-Gesellschaft 2), S. 53–62, hier S. 54.
153 Vgl. Hannelore Valencak: Die Höhlen Noahs. St.
Pölten, Salzburg, Wien: Residenz 2012; dies.:
Das Fenster zum Sommer. St. Pölten, Salzburg, Wien: Residenz 2011.
154 Vgl. Peter von Tramin: Die Herren Söhne. Wien: Metroverlag 2011.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
232 Wolfgang Kraus und die österreichische Literatur
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437