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Paris, wo Handke sich in den 1970er Jahren niedergelassen hatte: „[W]under-
schön, sauber, groß, ein Herrenhaus – fast ohne Möbel, nur das Allernötigste.
[…] Wenn man die Stufen hinaufsteigt[,] sieht man den Tisch und Handke im
Garten wie in einem Bilderrahmen. […] Ich esse mit Amina [Handkes Tochter,
Anm. d. Verf.] vom Baum Weichseln und Kirschen.“198 Trotz dieses Nahever-
hältnisses kam eine Lesung Handkes in der ÖGL nicht mehr zustande, dieser
vertröstete Kraus damit, dass er in Österreich generell nicht mehr lesen wolle.199
Auch Die Stunde der wahren Empfindung (1975) wurde von Kraus rezensiert,
wobei er hier auf die stark autobiografischen Züge des Romans sowie die Nähe
zu den Werken Franz Kafkas hinweist, z. B. mit dem Vornamen des Protagonis-
ten Gregor Keuschnig, und konstatiert, dass Handke „über sein eigenes inneres
Leben“ in der „zivilisatorischen und technischen Welt“ berichtet, in der „das
Bewußtsein von Wirklichkeit abhanden gekommen“200 sei.
Aus dem „weite[n] antike[n] Sonnenraum“ Paestum (Salerno, Italien) grüßte
Kraus Handke per Postkarte und erwähnte dabei, dass ihn die Langsame Heim-
kehr (1979), welche ihm „sehr nahe“201 komme, begleite. Auch in seine Fernseh-
sendung „Welt des Buches“ lud Kraus Handke zu einem Gespräch ein.202 Sein
Österreichisches Gedicht 1979/80 sandte Handke an Kraus mit der Bitte, es Hans
Haider zu übergeben, der die literarische Beilage „Spectrum“ der Tageszeitung
„Presse“ leitete.203 Kraus, der sich über das neue Gedicht freute, versprach es
weiterzuleiten,204 und es erschien am 19./20. April.
Kraus schrieb zwar in der Folge keine Rezensionen zu Handkes weiteren Neu-
erscheinungen, jedoch gibt die Privatkorrespondenz Aufschluss darüber, dass
ihm Kraus als Leser treu blieb: „Ihre Geschichte des Bleistifts erstand ich noch
in Wien […]. Ich habe sie in vielen guten Stunden gelesen und befinde mich
damit in Übereinstimmung. Vieles habe ich angestrichen, auf daß ich es rasch
wiederfinde, wenn ich suche.“205 Auch Handkes Film Die linkshändige Frau (1978)
fand Kraus „so, daß ich nicht viel davon vergessen habe“ und meinte, beim wie-
derholten Ansehen habe er „manche neue Feinheit entdeckt und mich außer-
dem sehr an Ihr Haus in Clamart und unsere dortigen Gespräche erinnert“.206
Zum Erscheinen von Der Chinese des Schmerzes (1983) meint Kraus, er sei
198 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 21. Juni 1978, NL WK.
199 Vgl. Peter Handke an Wolfgang Kraus, 4. Februar 1976, NL WK.
200 Wolfgang Kraus: Handke: Die Wurzeln der Gewalt. In: Südost-Tagespost, 4. Mai 1975.
201 Wolfgang Kraus an Peter Handke, 25. September 1979, NL WK.
202 Vgl. N. N.: Die Welten von Artmann & Co. Zeitungsausschnittsammlung der Dokumentati-
onsstelle für neuere österreichische Literatur, Wien, Mappe Wolfgang Kraus.
203 Peter Handke an Wolfgang Kraus, 20. März 1980, NL WK.
204 Vgl. Wolfgang Kraus an Peter Handke, 29. März 1980, Leihgabe Widrich.
205 Ders. an Peter Handke, 4. Dezember 1982, Leihgabe Widrich.
206 Ders. an Handke, 30. Jänner 1985, Leihgabe Widrich.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Der Literaturkritiker Kraus 241
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437