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erzittern wie damals die gesamte Kärntner Bevölkerung vor den schrecklichen
Türken.‘“365
Der Bachmann-Wettbewerb war aus der 1969 vom ORF und der Stadt Kla-
genfurt ins Leben gerufenen „Woche der Begegnung“ hervorgegangen. Das Kon-
zept für die Vergabe des Preises stammte von Humbert Fink und Ernst Willner,
dem Intendanten des ORF-Landesstudio Kärnten, wobei das Vorbild für diesen
Preis, der ab 1977 unter dem Namen Bachmann-Preis firmierte und sich „zu
der erfolgreichsten und öffentlichkeitswirksamsten Literaturveranstaltung des
deutschsprachigen Raumes entwickelte“366, die „Gruppe 47“ abgegeben hatte.
Im Unterschied zu dieser wurde die mediale Öffentlichkeit mit einkalkuliert und
in den Ablauf integriert. Der Wettbewerb fand zur Gänze vor laufender Kamera
statt: „Lesung, Spontankritik durch prominente Jury, öffentliche Ermittlung der
Preisträger durch Begründung und Abstimmung“.367
Marcel Reich-Ranicki, einer der zentralen Kritiker der „Gruppe 47“, saß der
Jury vor, ebenso ließen sich Joachim Kaiser und Walter Jens für die Klagenfur-
ter Jury engagieren. Wie Doris Moser in ihrer Monographie über den Bach-
mann-Preis festgestellt hat, war die Veranstaltung stark literaturbetrieblich und
weniger literarisch positioniert, was Fink und Willner ursprünglich nicht im
Sinn hatten, wie auch an der Auswahl der Jurymitglieder, die mit Hans Weigel
und Friedrich Torberg zwei Konsekrationsinstanzen der österreichischen Lite-
ratur umfasste, ersichtlich wird.368
Am Eröffnungsabend der achten Ausgabe der „Tage der deutschsprachigen
Literatur“ war der Text der Schriftstellerin Herta Müller, die 25 Jahre später den
Nobelpreis für Literatur erhalten sollte, als „nichtwürdig“ bezeichnet worden;
sie selbst war nicht anwesend, da die rumänischen Behörden ihr keine Ausreise
erteilt hatten, woraufhin sie „von den Klagenfurter Juroren aus dem Wettbewerb
eliminiert wurde“.369
Kraus geschah ein Missgeschick, er vergaß den Termin und kam zu spät in
Klagenfurt an: „Wolfgang Kraus, der Wiener Juror, kam dann doch noch ange-
flogen und gab zu einem nur halb gehörten Text auch gleich seine Meinung ab,
ohne ein Wort über sein Zuspätkommen verloren zu haben. Nach einer neuer-
lichen Wortmeldung des abgehetzten Wieners, meinte Reich-Ranicki, Kraus sage
das Allerfalscheste.“370 Er saß mit „4 Minuten Verspätung […] am ‚Richtertisch‘.
365 Christian Schultz-Gerstein: „Was lesen die denn bloß?“. In: Der Spiegel, Nr. 28, 9. Juli 1984,
S. 137.
366 Amann, Strutz: Das literarische Leben. In: Rumpler (Hg.): Kärnten. Von der deutschen Grenz-
mark zum österreichischen Bundesland, S. 579.
367 Ebd.
368 Vgl. Moser: Der Ingeborg-Bachmann-Preis, S. 182 f.
369 Schultz-Gerstein: „Was lesen die denn bloß?“. In: Der Spiegel, Nr. 28, 9. Juli 1984, S. 137.
370 Michael Kuscher: Bachmann-Preis: Schon fiel das Wort „ausgezeichnet“. In: Kärntner Tages-
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Literatur-Preise 277
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437