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Jahre, als Kraus bereits am Ende seiner Karriere stand, „übrigens währt das schon
längere Zeit, seit meiner Tätigkeit im Außenamt. Ich trage dies mit Gelassenheit,
schließlich soll Philosophie nichts Abstraktes bleiben. Mein[e] Haltung und
Richtung verändert sich nicht nur nicht, sondern erhält dadurch Bekräftigung.“387
Kraus dürfte zu dieser stoischen Haltung auch deswegen gelangt sein, weil er
seit den frühen 1970er Jahren immer wieder im Brennpunkt der Kritik stand,
die zumeist nur in Polemiken ausartete und seine Position im Feld der Macht
nicht wirklich unterminieren konnte. Kraus’ hegemoniale Stellung, die er in den
1970er Jahren im literarischen Feld erreicht hatte, ist hier natürlich ausschlag-
gebend für die „Kämpfe“ im Feld gegen ihn. Daran beteiligen sich Akteurinnen
und Akteure, die nicht über die vielfältigen Kapitalsorten verfügten oder aktiv
von ihm gefördert wurden. Diese „Kämpfe“ um die legitime Art der Litera-
tur-Produktion, die mit dem „Monopol auf Durchsetzung legitimer Wahrneh-
mungs- und Bewertungskategorien“ einhergehen, sind nur bedingt mit dem
literarischen Feld verbunden, sondern, wie Bourdieu nachdrücklich formuliert
hat, vielmehr sei es „der Kampf selbst, der die Geschichte des Feldes ausmacht“.388
In Bourdieus Definition kann Wolfgang Kraus als Akteur betrachtet werden, der
innerhalb des Feldes der Macht agierte und mit „der Kontinuität, der Identitäts-
findung, der Reproduktion im Bunde“ stand, weshalb er „neue[n] Positionen
jenseits der etablierten“389 misstraute.
Ein Außenseiter innerhalb des Literaturbetriebs wie der Philosoph und Schrift-
steller Günter Anders beschwerte sich etwa beim Redakteur der westdeutschen
Zeitschrift „Merkur“ darüber, dass sein Artikel direkt vis-à-vis einem Aufsatz
von Kraus platziert wurde:
Wie ist es nur möglich, dass Sie [von] Ihrem sonst so sicheren Fingerspitzengefühl
für Niveau-Differenzen so plötzlich total im Stich gelassen worden sind? Ich spre-
che von Kraus. Diesem Hans Dampf in allen Kulturgassen der schwärzeste[n] Reak-
tion, der seine gezuckerte Schmierseife als Kulturphilosophie feilbieten kann, weil
er hierzudorfe mit totaler philosophischer Ignoranz rechnen darf, diesen Mann
neben mir veröffentlicht zu sehen, ist mir aufs tiefste peinlich. Ich kann‘s noch
immer nicht glauben, Warum um Gottes Willen haben Sie den ins Merkurhaus
gelassen.390
387 Wolfgang Kraus an Gertrud Fussenegger, 15. Mai 1994, NL WK.
388 Pierre Bourdieu: Die Regeln der Kunst. Genese und Struktur des literarischen Feldes. Aus dem
Frz. übers. v. Bernd Schwibs u. Achim Russer. Frankfurt/M.: Suhrkamp 2001 (= stw 1539),
S. 253. [Kursivierung im Original.]
389 Ebd.
390 Günther Anders an Hans Schwab-Felisch, 6. Juli 1982 [hs. Vermerk: „Kopie zu Kenntnisnah-
me“], NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Polemiken und Kämpfe im Feld 281
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437