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lung“ während der Europalia verkauft werden sollte, und Kraus wählte aus einer
Liste des Österreichischen Bundesverlags Bücher österreichischer Staatspreis-
trägerinnen und Staatspreisträger für Literatur aus.201
Kraus wies darauf hin, dass eine österreichische Buchausstellung unabding-
bar sei, wobei man aber beim Österreichischen Verlegerverband „auf einige
Schwierigkeiten stoßen“ würde, da die Bücher österreichischer Autorinnen und
Autoren, „bekanntlich sehr häufig in bundesdeutschen Verlagen erschienen
sind“, eine reine Ausstellung „österreichische[r] Druckerzeugnisse würde einer
grotesken Zensurierung und Entstellung des österreichischen literarischen Schaf-
fens gleichkommen“.202
Kraus bezweifelte zunächst das genuine Grundkonzept des österreichischen Bei-
trags zur „Europalia“, wie aus einem Brief an Wilhelm Schlag hervorgeht, mit
dem er sich einige „Schrei-Konferenz[en]“203 geliefert haben dürfte, und weist
auf Versäumnisse hinsichtlich der wissenschaftlichen Fundierung hin: „Sicher
habt ihr bei der Grundkonzeption […] bedacht, daß Flandern eine gemeinsame
Geschichte von 251 Jahren […] mit dem Habsburgischen Reich hatte. […] Ich
zweifle nicht daran, daß bereits ein Historiker in eurem Auftrag diese gemein-
same kulturelle und politische Landschaft herausgearbeitet hat, damit sie als
Grundlage für eure Konzeption dienen konnte.“204
Für Kraus hatte dieser historische Ansatz „nichts mit Nostalgie zu tun, son-
dern mit der Fundierung dieses für Österreich ungemein wichtigen Projekts“,
da er eine „Reduktion auf die Kultur im ‚kleinösterreichischen‘ Sinn“ für „eine
gefährliche Selbstbeschränkung“205 hielt. Kraus machte den Kulturraum außer-
halb des „kleinösterreichischen Gebiets“ stark – ohne dabei Autorinnen und
Autoren des Exils zu vergessen –, er nannte u. a. Franz Kafka, Rainer Maria Ril-
ke, Franz Werfel, Leo Perutz und Johannes Urzidil und zeigte sich etwa beun-
ruhigt ob der Einschätzung des belgischen Komitees, das Kafka als tschechischen
Staatsbürger eingestufte und bei einer von Kraus vorgeschlagenen Kafka-Aus-
stellung „Schwierigkeiten mit der tschechischen Regierung“206 befürchtete. Kraus
wollte auf „solche Autoren, Künstler, Wissenschaftler“ nicht verzichten, da dies
für ihn „einer Demontage jener Kultur“ bedeutete, „für die Österreich heute
steht“, denn die „österreichische Kultur reicht weiß Gott weiter als die Grenzen
unseres heutigen Staates, und dies lag auch stets in der Konzeption sowohl der
201 Wolfgang Kraus: Stand des literarischen Programms 8. August 1986, ÖGL-Archiv.
202 Ders.: Entwurf eines Literaturprogramms, o. D., ÖGL-Archiv.
203 Ders.: Tagebuch, 12. November 1986, NL WK.
204 Wolfgang Kraus an Wilhelm Schlag, 3. Oktober 1986, ÖGL-Archiv.
205 Ebd.
206 Ebd.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
„Europalia 1988“ 343
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437