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verkauft hatte. Genau jene verzerrende, einseitige Manipulation, die sie ande-
ren vorwerfen“.218
Große Aufregung in der österreichischen Medienlandschaft herrschte überdies,
als sich Thomas Bernhard gegen die Inszenierung seines Stücks Der Theaterma-
cher wehrte, die für die „Europalia“ geplant war. In einem geharnischten Brief
an Claus Peymann, veröffentlicht in der „Presse“, polemisierte Bernhard gegen
die vier Exekutivsekretäre, Zettl, Kraus, Urbach und Landesmann: „Gerade die
verheuchelten und inkompetenten seit eh und je als approbierte und pragmati-
sierte Nationalblutegel in den österreichischen Staat verbissenen Schauergestal-
ten der österreichischen Kulturbürokratie hasse ich seit Jahrzehnten wie die
berühmtberüchtigte Pest und ich habe sie, solange ich zurückdenken kann,
gemieden wo immer.“219 Bernhard, der in den 1970er Jahren von der Kulturpo-
litik profitiert hatte und bis zu seinem Lebensende Mitglied der ÖVP war (vgl.
Kapitel 4),220 wollte sich nicht „von den österreichischen Ministerialbeamten als
Kulturpolizisten mißbrauchen und exekutieren lassen“ und schlug Peymann vor,
mit dem Theatermacher „überall hin“ zu gehen, „und sei es in die Hölle, aber
nicht in diesem September nach Brüssel“.221
Kraus sah sich nach „dem Bernhard-Angriff in der ‚Presse‘“ in den österrei-
chischen Medien mit „bösartigen und falschen Anführungen“ konfrontiert.222
In „profil“ wurde kritisiert, dass Kraus und die ÖGL die alleinige „Anlaufstelle
für die Belgier“ gewesen seien und Kraus mit einem solitären Status „die Lite-
ratur im Europalia-Büro“223 verkörpere. Das belgische Vorbereitungskomitee
beschwerte sich, dass es „von Kraus und Ceska offen und schroff in einer Ver-
sammlung verpflichtet“ wurde, als „Gegengewicht zu den linken Autoren Micha-
el Scharang und Peter Turrini die konservativen Schriftsteller Matthias Mander,
Inge Merkel und György Sebestyén zu nehmen“, wobei Kraus zitiert wurde, der
bemüht war, „‚auf eine gewisse Ausgewogenheit zu achten‘“224 und nicht müde
wurde darauf hinzuweisen, er habe von Anfang an eine große Palette an Auto-
rinnen und Autoren vorgeschlagen. In einer nach Bundesländern geordneten
Liste verzeichnete Kraus, wen er gerne für die literarischen Veranstaltungen ein-
218 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 27. Jänner 1988, NL WK.
219 N. N.: Bernhard gegen die Europalia. In: Die Presse, 6. August 1987.
220 Vgl. Helga Embacher: Literatur der Gefühle. Die Widerspiegelung der Waldheim-Affäre in der
österreichischen Literatur. In: Moshe Zuckermann (Hg.): Deutsche Geschichte des 20. Jahr-
hunderts im Spiegel der deutschsprachigen Literatur. Göttingen: Wallstein 2003 (= Conferen-
ces. Institut für Deutsche Geschichte, Universität Tel Aviv 2), S. 148–166, hier S. 154.
221 N.N.: Bernhard gegen die Europalia.
222 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 17. August 1987, NL WK.
223 Christoph, Löffler: Geschossene Böcke, S. 52.
224 Ebd.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
346 Kontaktperson, Vermittler, Dolmetscher
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437