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Doch verband sich noch ein persönlicher Misserfolg für Kraus mit dem Pro-
gramm der „Europalia 88“. Eine Veranstaltung, die „Jean Améry en Belgique“
gewidmet sein sollte und für den 7. Oktober 1988 angesetzt war, fand keinen
Zuspruch bei dessen Witwe Maria Améry. In einem Brief an Kraus wollte sie
Amérys Namen „nicht im Zusammenhang mit der Europalia“ erwähnt wissen,
Kraus war deshalb „konsterniert“.256. Maria Améry schrieb, dass es „geradezu
eine Beleidigung“ – auch angesichts des österreichischen Bundespräsidenten –,
sei, würde man „einen Mann präsentieren, der nicht nur Jude, sondern ein
Widerstandskämpfer war, von der Gestapo torturiert, durch sämtliche KZs
geschleppt, schliesslich in Bergen-Belsen von den Engländern befreit wurde.
Jean Améry war ein Linker und blieb einer.“257 Schließlich rief sie Kraus von
Brüssel aus an und annullierte den Brief, der Kraus „auch im Schlaf nicht aus
dem Kopf ging. Ich war privat überaus traurig, erschüttert“.258
Zusammenfassend kann konstatiert werden, dass Wolfgang Kraus und seine
kulturpolitischen Ambitionen wohl vor allem auf die Förderung eines zentralen
Konzepts ausgerichtet waren und das hieß „Österreich“. Die Rolle der österrei-
chischen Literatur innerhalb der Kulturpolitik bei dieser „Promotion“ im In-
und Ausland war für Kraus ein wesentlicher Teil seines Konzepts, da diese für
ihn über die Rolle und das Selbstbild des Landes Aufschluss zu geben vermoch-
te, wobei seine Vergangenheitspolitik durchaus staatstragenden Interessen folg-
te. Denn Kraus war von politischen Prämissen geleitet, wodurch Autorinnen
und Autoren, die seinen Bestrebungen um Repräsentation diametral entgegen-
standen – etwa aus politischen und literaturästhetischen Gründen – aus seinen
literarischen Kategorien herausfielen und von ihm außen vor gelassen wurden.
Wie dargestellt wurde, waren auch ihm selbst innerhalb des politischen Feldes
Grenzen gesetzt, gegen die er nicht immer erfolgreich ankämpfen konnte, um
seine Interessen durchzusetzen. Auch dem Literaturbetriebsfunktionär werden
durch realpolitische Verhältnisse und gesellschaftliche Diskurse Grenzen gesetzt,
was in der Bewertung seines tatsächlichen Einflusses zur Objektivierung von
Kraus’ kulturpolitischem Einfluss führen muss.
256 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 11. September 1987, NL WK.
257 Maria Améry an Wolfgang Kraus, 5. September 1988, ÖGL-Archiv.
258 Wolfgang Kraus: Tagebuch, 11. September 1987, NL WK.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
„Europalia 1988“ 353
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437