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seinen Einfluss geltend machen sollte, um sie zur Teilnahme zu bewegen. Geför-
dert wurde der Kongress mit einer Summe von 184.300 Schilling.
Ein Problem ergab sich jedoch im Vorfeld der Planung des Round-Table-Ge-
sprächs für das Jahr 1966 – wie Marcel Reich-Ranicki in der „Zeit“ anmerkte –,
nachdem bekannt wurde, dass der Kongress auf einen späteren Zeitpunkt ver-
schoben worden war. Denn der ursprünglich geplante Termin fiel fast genau auf
den zehnten Jahrestag der ungarischen Revolution und des Polnischen Oktobers,
und „da das Thema des Kongresses obendrein ‚Literatur als Tradition und Revo-
lution‘ lauten sollte, kam man im Osten auf die Idee, die Wiener könnten dies-
mal Ungemütliches im Schilde führen, vielleicht eine politische Demonstration
oder gar eine handfeste Provokation“. Reich-Ranicki vermerkte, dass die Absa-
gen deutlich machen würden, dass die Vermittlung zwischen Ost und West „auch
im literarischen Bereich ein undankbares und schwieriges Geschäft ist“ und ver-
teidigte die ÖGL als „friedliche und auch durchaus gemütliche Organisation“:
„[A]n nichts ist, glaube ich, Wolfgang Kraus weniger gelegen als an einem Miß-
brauch des neutralen österreichischen Bodens zu provozierenden Aktionen“.76
Kraus vermerkte, er habe die „sehr unangenehme Tatsache“ akzeptieren müssen,
dass „[u]nter den verschiedensten Begründungen […] von den meisten Teilneh-
mern aus den sozialistischen Staaten die bereits bindend gegebenen Zusagen
zurückgenommen“ worden waren. Er monierte die Sinnlosigkeit, ein Gespräch
ohne Partner zu führen, da er dadurch „dem ursprünglichen Konzept […] nicht
gerecht werden“77 könne.
Ein weiteres Problem ergab sich mit dem Vorschlag des CIA-Offiziers und
Schriftstellers John Hunt, den Einladungen an die westlichen Teilnehmer einen
Vermerk beizulegen, dass ihnen die Teilnahme durch die finanzielle Hilfe des
„Comités d’Ecrivains et d’Editeurs pour une entr‘aide intellectuelle européenne“
ermöglicht würde, wie Kraus an Sperber schreibt:
Die Sorge ist eine doppelte: man befürchtet einerseits, durch die sichtbare Verbin-
dung des ‚Comités‘ mit dem ‚Kongress für kulturelle Freiheit‘ im Hinblick auf den
Osten Einbussen zu erleiden. Die Tatsache, dass das ‚Comité‘ nicht selbst als Mit-
einladender auftreten möchte, würde bestätigen, dass in dieser Hinsicht immer
noch Hemmnisse bestehen. Die Verbindung beider Institutionen […] ist durch die
Personalunion der Sekretariate, also den – mir überaus sympathischen – Herrn
Jele[ń]ski, offen gegeben. Wie Herr Jele[ń]ski mir seinerzeit schrieb, ist auch seine
Mitarbeit an der ‚Kultura‘ bekannt.78
76 Marcel Reich-Ranicki: Wiener Kongreß 1966 abgesagt. In: Die Zeit, Nr. 42, 14. Oktober 1966.
77 Wolfgang Kraus an Heimito von Doderer, 30. September 1966, NL WK.
78 Ders. an Manès Sperber, 28. Februar 1966, ebd.
Open-Access-Publikation im Sinne der CC-Lizenz BY 4.0
Die Round-Table-Gespräche der ÖGL 373
Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Title
- Wolfgang Kraus und der österreichische Literaturbetrieb nach 1945
- Author
- Stefan Maurer
- Publisher
- Böhlau Verlag
- Location
- Wien
- Date
- 2020
- Language
- German
- License
- CC BY 4.0
- ISBN
- 978-3-205-23312-1
- Size
- 15.8 x 24.0 cm
- Pages
- 452
- Category
- Kunst und Kultur
Table of contents
- 1. EINLEITUNG: WOLFGANG KRAUS, EIN „KANTENLOSER HOMME DE LETTRES“? 9
- 2. DER ÖSTERREICHISCHE LITERATURBETRIEB NACH 1945 43
- 3. DIE ÖSTERREICHISCHE GESELLSCHAFT FÜR LITERATUR (1961–1975) 81
- 3.1 Gründung und Anfänge der Österreichischen Gesellschaft für Literatur 83
- 3.2 Einladungs- und Veranstaltungspolitik der ÖGL 98
- 3.3 Die ÖGL und das Konzept einer österreichischen Literatur 124
- 3.4 Die ÖGL und „Wort in der Zeit“ 142
- 3.5 Eine „Heimatadresse“? Die ÖGL und die Exilliteratur 155
- 3.6 Forum der Jugend 180
- 3.7 Bemühungen um die Literatur der östlichen Nachbarn 183
- 3.8 Resümee 190
- 4. „DAS MANAGEMENT REISST NICHT AB“. WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE LITERATUR 193
- 5. KONTAKTPERSON, VERMITTLER, DOLMETSCHER: WOLFGANG KRAUS UND DIE ÖSTERREICHISCHE KULTURPOLITIK 297
- 6. WOLFGANG KRAUS’ NETZWERKE IM KULTURELLEN KALTEN KRIEG 355
- 7. RESÜMEE 399
- 8. LITERATURVERZEICHNIS 403
- 9. PERSONENREGISTER 437