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Forschungsansatz – methodisch-theoretische Aspekte
Hierbei zeigt sich , dass es sinnvoll ist , die Reeducation beziehungsweise Reorientation –
auf die terminologischen Unterschiede wird später noch einzugehen sein – verstärkt im
Sinne einer „reculturalization“ zu begreifen : eine begriffliche Erweiterung beziehungswei-
se inhaltliche Präzisierung , die obendrein auf die tatsächlich zugrundeliegenden Planun-
gen vor 1945 rückführbar ist und die US-amerikanischen Konzepte einer Nachkriegsdemo-
kratisierung um einiges genauer kennzeichnet.
Im Folgenden soll dargestellt werden , dass es sich bei der Frage der gesamten Reeduca-
tion , Reorientation , Rehabilitation oder wohl besser „Rekulturalisierung“ um einen zentra-
len Aspekt der US-amerikanischen Konfrontation mit dem Nationalsozialismus handelt ,
der nach Kriegsende auch die sicherheits- und machtpolitische Position der USA und ihrer
Außenpolitik mitbestimmte. Für die Geschichte der Nachkriegszeit und des beginnen-
den Kalten Krieges haben die US-Reorientierungs-Konzepte zumindest dreifache Bedeu-
tung : zunächst als identitätsstiftende ideologische Legitimationsformel für den nationalen
Kriegseinsatz sowie als kultur- und bildungspolitische Planungsperspektive einer Frieden
sichernden Nachkriegsentwicklung ; sodann als konkretes außenpolitisches Strategem ei-
ner nachhaltigen Demokratisierung ; und mit Ausbruch des Kalten Krieges schließlich als
kulturpolitisches Instrument der antikommunistischen Westintegration und Blockbildung ,
das bald Aktivitäten zur propagandistischen Beeinflussung von aktuellen oder künftigen
Exponenten der politischen , kulturellen und wissenschaftlichen Elite miteinbezog. Als
ideologisches „backbone“ der US-Außenpolitik unterstützte der US-Reorientierungs-Dis-
kurs das nachhaltige Ende der bisherigen isolationistischen Kulturdiplomatie der Vereinig-
ten Staaten und mündete – freilich mit sinkender Reflexionsbereitschaft hinsichtlich des
damit einhergehenden demokratiepolitischen Erklärungsbedarfes – schließlich direkt in
die offensive und expansive Mission der „Pax Americana“.20
(= Transatlantische Historische Studien , Bd. 23 ), Stuttgart 2005 ; eine breit angelegte Untersuchung zu
einem speziellen Implementierungsbereich der US-Reorientation findet sich zuvor bereits bei : Maritta
Hein-Kremer , Die amerikanische Kulturoffensive. Die Gründung und Entwicklung der amerikanischen
Information Centers in Westdeutschland und West-Berlin , 1945–1955 , Köln 1996 ; zum Konnex der US-
Reorientierungs-Politik mit geheimdienstlichen Aktivitäten siehe : Volker Berghahn , Transatlantische
Kulturkriege. Shepard Stone , Die Ford-Stiftung und der europäische Antiamerikanismus (= Transatlan-
tische Historische Studien , Bd. 21 ), Stuttgart 2004. Zum Bereich der Reorientierung der Universitäten
in Deutschland siehe jüngst die materialreiche und historisch weit ausgreifende Studie von : Stefan Paulus ,
Amerikanisierung von Universität und Wissenschaft in Westdeutschland 1945–1976 (= Studien zur Zeit-
geschichte. Hrsg. v. Institut für Zeitgeschichte , Bd. 81 ), München 2011.
20 Vgl. Eric P. Louw , Roots of the Pax Americana. Decolonisation , Development , Democratisation and Trade ,
Manchester 2010 ; Ronald Steel , Pax Americana. Weltreich des Kalten Krieges , Darmstadt 1968 ; Ursula
Lehmkuhl , Pax Anglo-Americana. Machtstrukturelle Grundlagen angloamerikanischer Asien- und Fer-
nostpolitik in den 1950er-Jahren , München 1999. Zur Thematisierung der „Pax Americana“ im Kontext
aktueller weltpolitischer Entwicklungen siehe : Ronald Bauermeister , Pax Americana versus „Krieg der Kul-
turen“. Studie über die Chancen einer von den USA dominierten Weltordnung für das 21. Jahrhundert im
Kontext historischer Ereignisse und gegenwärtiger Entwicklungen im politischen Europa , Diss., Freie Uni-
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741