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1. Images , Stereotype und Vorurteile
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sachten sozialen Zuständen.76 Anders als in seiner frühen Schrift „Austria as it is“ [ 1827 / 28 ] ,
wo Sealsfield in quasi erzieherischer Gegenüberstellung von Alter und Neuer Welt in den
„schlanken amerikanischen Handelsschiffen“ den beweglichen Unternehmungsgeist der
freien Welt
– gegenüber einer „plump gebauten[ n ] französischen Brigg“
– repräsentiert sah ,
rechnete er hier entschieden mit der amerikanischen „Geldplutokratie“ ab.
Umgekehrt übte die überaus scharfe Kritik , die Postl in „Austria as it is“ hinsichtlich des
vormärzlichen Österreich äußerte und dabei insbesondere die Wiener als gedankenloses ,
vergnügungssüchtiges und von einer antiintellektuell-repressiven Obrigkeit kontrolliertes
Volk charakterisierte nachhaltigen – so Erich Zöllner – Einfluss auf das englische und
amerikanische Österreichbild einer phäakenhaft-derben Genuss- und Weinseligkeitskul-
tur aus , der freilich auch , in der Musik und einzelnen Wissenschaftsbereichen , besondere
Leistungen zugesprochen wurden.77 Der Einfluss der durch fiktionale literarische Dar-
stellungen medial verbreiteten Amerika- und Europabilder kann durchaus als erheblich
angesehen werden ,78 da die Schriftsteller und Journalisten mit ihren Schilderungen eine
erste Grundlage für die Ausbildung von negativen und positiven Stereotypen , Mythenbil-
dungen und Projektionen schufen.79
Geraume Zeit nach Postl zeichnete der österreichische Schriftsteller Ferdinand Kürn-
berger , inspiriert von den Eindrücken des zutiefst enttäuschten Amerikafahrers Nikolaus
Sealsfield-Gesellschaft XI ), München 1998 , 19 ff. Die Literatur und der Wissensstand zu Sealsfields ambi-
valentem Amerika-Bild ist mittlerweile stark angewachsen. Aus der schier kaum zu überblickenden Fülle
an Fachpublikationen siehe zuletzt insbesondere : Alexander Ritter , Die USA als Utopie liberaler Staat-
lichkeit und ethnokulturellen Selbsterhalts. Zum Paradigmenwechsel des Amerikabildes in den Auswan-
dererromanen „Die deutsch-amerikanischen Wahlverwandtschaften“ ( 1839 / 40 ) von Charles Sealsfield
und „Ein Deutscher“ ( 1862 ) von Otto Rupius. In : Alexander Ritter ( Hrsg. ), Amerika im europäischen
Roman um 1850. Varianten transatlantischer Erfahrung (= SealsfieldBibliothek 8 ), Wien 2011 , 89–118 ,
sowie : Wynfried Kriegleder / Gustav-Adolf Pogatschnigg ( Hrsg. ), Die Geschichten des Charles Sealsfield.
Zeitschriftenveröffentlichungen und Vorlagen (= SealsfieldBibliothek 7 ), Wien 2009.
76 Zit. nach Günter Schnitzler , Nachwort. In : Charles Sealsfield , In der Neuen Welt. Aus : Morton oder die
große Tour , München 1997 , 150. Der Hauptprotagonist erfährt : „ ‚In a free country ?‘ lachte der Alte fort.
‚In a free country ? Free to starve I say.‘ “ Zit. nach : Ebd., 92 ; weiters : Berger , Das Bild der Vereinigten Staa-
ten von Nordamerika in der deutschen Reiseliteratur des 19. Jahrhunderts , a. a. O., 33.
77 Vgl. Erich Zöllner , Zur Geschichte des Klischees von Wien und den Wienern. In : Michael John / Albert
Lichtblau , Schmelztiegel Wien – einst und jetzt. Zur Geschichte und Gegenwart von Zuwanderung und
Minderheiten , 2. verb. Aufl., Wien – Köln – Weimar 1993 , 7.
78 Vgl. dazu im Besonderen den rezenten Sammelband : Ritter ( Hrsg. ), Amerika im europäischen Roman um
1850. Varianten transatlantischer Erfahrungen , a. a. O. ; weiters : Wynfried Kriegleder , Vorwärts in die Ver-
gangenheit. Das Bild der USA im deutschsprachigen Roman 1776 bis 1855 , Tübingen 1999 [ Habilitation
an der Univ. Wien 1986 ].
79 Vgl. Alexander Schmidt , Reisen in die Moderne. Der Amerika-Diskurs des deutschen Bürgertums vor
dem Ersten Weltkrieg im europäischen Vergleich , Berlin 1997 , 82 f. ; vgl. weiters : Viktor Otto , Deutsche
Amerika-Bilder. Zu den Intellektuellen-Diskursen um die Moderne 1900–1950 , München 2006 , 66 ff.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741