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1. Images , Stereotype und Vorurteile
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Beobachter / Innen wie zum Beispiel der österreichischen Weltreisenden Ida Pfeiffer88 oder
Alexander von Humboldt auslösten.89
Dessen ungeachtet präsentierten insbesondere liberale Autoren wie Alexander Mackay
die USA und ihre Verfassung , die amerikanischen Schwurgerichte , das demokratische
Parteienwesen , das Erziehungssystem und das politische Leben im Allgemeinen als vor-
bildhaft.90
Drei Jahrzehnte später übten sich europäische – hier vor allem deutsche91 – Autoren
nicht mehr bloß in distanzierter Kulturkritik , sondern warnten angesichts der zunehmen-
den Macht Amerikas bereits vor ernsten Gefahren für das Geistesleben Europas. So sprach
der Physiologe Emil Du Bois-Reymond 1877 offen Ängste gegenüber der „Maschinenzi-
vilisation“ aus , indem er „die gefürchtete Überwucherung und Durchdringung der euro-
päischen Kultur mit Realismus und das reißend wachsende Übergewicht der Technik als
Amerikanisierung“92 thematisierte.
88 Die weithin bekannte österreichische Reiseschriftstellerin Ida Pfeiffer ( 1797–1858 ) hatte Amerika in den
Jahren 1853–1854 von San Franscisco ausgehend besucht , und dabei – neben so manchen sozialen Miss-
ständen – insbesondere die Sklaverei als „größten Schandfleck der Menschheit“ bezeichnet. Vgl. Primus-
Heinz Kucher , „… dass die Vereinigten Staaten bisher einzig in der Welt dastehen. Ida Pfeiffers Reisebericht
über Amerika. In : Ritter ( Hrsg. ), Amerika im europäischen Roman um 1850. Varianten transatlantischer
Erfahrungen , a. a. O., 257.
89 Der Humanist und Aufklärer Alexander von Humboldt hatte sich bereits im Zusammenhang seiner Ex-
pedition 1799–1804 in die „Neue Welt“ ausdrücklich gegen jede Form von Sklaverei ausgesprochen. Als
der amerikanische Verleger John Sidney Thrasher 1854 Humboldts Schrift „The Island of Cuba“ veröffent-
lichte , protestierte dieser lautstark dagegen , dass in der englischen Übersetzung seine kritischen Aussagen
zur dortigen Sklaverei einfach weggelassen worden waren. In einem Interview mit der New York Evening
Post übte der 85-jährige Humboldt harsche Kritik am amerikanischen Festhalten an der Sklaverei : „You
have gone backward , very far backward in every respect. [ … ] In Europe you will also find bad things. But
I tell you , you will not find anything half as bad as your system of slavery , and I know what slavery is like
in your country.“ Zit. nach : Mischa Honeck , We are the Revolutionists. German-speaking Immigrants and
American Abolitionists after 1848 , Athens / Georgia 2011 , 26.
90 Alexander Mackay , Western World , London 1849.
91 Ähnlich wie in Italien waren – aufgrund der großen Zahl familiärer Kontakte zu Auswandererfamilien –
die antiamerikanischen Stereotype und Vorurteile ursprünglich wohl auch in Frankreich etwas weniger
scharf ausgeprägt ; insbesondere in der künstlerisch-literarischen Intelligenz , die die amerikanische Kunst
( „le style américain“ ) europäisierten. Vgl. Philippe Soupalt , The American Influence in France , Seattle
1930 , 30 ff. Dessen ungeachtet existierte auch in Frankreich unter Kommunisten , aber besonders unter der
politischen Rechten spätestens in den 1920er-Jahren ein ausgeprägter Antiamerikanismus , da man Ame-
rika als Gefahr für die grande nation ansah. Vgl. Richard F. Kuisel , Seducing the French : The Dilemma of
Americanization , Berkeley 1993 , 11 ff. ; David Strauss , The Rise of Anti-Americanism in France. French
Intellectuals and the American Film Industry , 1927–1932. In : Journal of Popular Culture , 10 , 1977 , 4 , 752 ff.
92 Emil Du Bois-Reymond , Kulturgeschichte und Naturwissenschaft. Rede , 1877. Zit. nach : Basler , a. a. O.,
144 ; Vgl. Wagnleitner , Coca-Colonisation , a. a. O., 34. Vgl. Estelle Du Bois-Reymond ( Hrsg. ), Reden von
Emil Bois-Reymond , Leipzig 1912 , 541–566.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741