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Spiegelung : Anmerkungen zum Bild Deutschlandsund Österreichs
terreichische Pressezensur an , mit der die Regierung die „Verbreitung von Informationen“
behindere ,255 „alles Blut aus der Zeitung“ sauge und diese „farb- und saftlos“ hinterlasse.256
Zu Spannungen im politischen Verhältnis zwischen den USA und dem österreichischen
Kaiserreich kam es erstmals im Gefolge der unter Alfred Fürst zu Windisch-Graetz ge-
waltsam niedergeschlagenen 1848er-Revolution. Abraham Lincoln hatte insbesondere den
Befreiungskampf der ungarischen Aufständischen unterstützt und diesen als „their present
glorious struggle for liberty“ bezeichnet.257 Als publik wurde , dass der Pariser US-Attaché
Ambrose Dudly Mann im Auftrag des US-Außenministers John M. Clayton wirtschaft-
liche Geheimverhandlungen mit Ungarn aufgenommen hatte , brachte Österreich bei der
US-Regierung im Mai 1850 lediglich eine formale Protestnote ein , um die handelspoliti-
schen Beziehungen nicht zu beeinträchtigen.258 Als dann aber dem in die Türkei entflo-
henen ungarischen Revolutionär Lajos Kossuth – der sich in den USA allerdings jedes
kritischen Kommentars enthielt259
– im Dezember 1851 auch noch ein tosender Empfang in
New York bereitet wurde260 und der US-Secretary of State dem akkreditierten österreichi-
schen US-Attaché Johann Georg Hülsemann261 versicherte , dessen Empfang wäre „strictly
255 Mark Twain , Turbulente Tage in Österreich. Aus dem Amerikanischen übertragen und kommentiert von
Rudolf Pikal , o. O. ( Wien ) 2012 , 19.
256 „Es gibt einen Pressezensor , der anscheinend immer in Dienst ist und schwer arbeitet. Um fünf Uhr früh
wird ihm ein Exemplar jeder Morgenzeitung gebracht. Seine Dienstkarossen warten an den Eingängen
der Redaktionen und eilen mit den ersten Abzügen aus der Druckerpresse zu ihm. Eine Gruppe von
Gehilfen liest jede Zeile in diesen Zeitungen und markiert jene Passagen , die gefährlich scheinen. Dann
fällt der Zensor das abschließende Urteil über diese markierten Stellen. [ … ] Die Assistenten haben nicht
alle denselben Begriff davon , was gefährlich ist und was nicht ; der Zensor hat nicht die Zeit , ihre Kritik-
punkte im Einzelnen zu überprüfen ; und so kommt es manchmal vor , dass ein und dieselbe Sache , die in
der einen Zeitung gestrichen wird , in der anderen nicht beanstandet und in vollem Wortlaut unverändert
veröffentlicht wird.“ Zit. nach : Twain , Turbulente Tage in Österreich , a. a. O., 16 f.
257 Goger , Die Beziehungen der Habsburgermonarchie zu den Vereinigten Staaten , a. a. O., 276.
258 Vgl. ebd., 266 f.
259 So zeigten sich US-amerikanische Anti-Slaverei-Aktivisten enttäuscht über Kossuth , der erklärte hatte ,
sich in nationale Belange der USA – einschließlich der Sklaverei – nicht einmischen zu wollen. Edmund
Quincy , der Herausgeber des National Anti-Slavery Standard meinte gar , Kossuth hätte sich verkauft und
würde sich nun erniedrigen „to kiss the feet of American women-whippers [ … ] and slave-catchers“. Vgl.
Honeck , We are the Revolutionists , a. a. O., 27.
260 Mit einer gewissen Erleichterung und wohl auch Genugtuung hielt der diplomatische Bericht der öster-
reichischen Gesandtschaft in den USA fest , dass der anschließende Empfang von Kossuth „in Philadel-
phia viel kühler als in New York“ war und die Stadtverwaltung von Richmond es sogar abgelehnt hätte ,
„Kossuth zu einem Besuch der Hauptstadt von Virginia einzuladen.“ Zit. nach : Matsch , Wien
– Washing-
ton. Ein Journal diplomatischer Beziehungen 1837–1917 , a. a. O., 125.
261 Hülsemann stand als Diplomat bereits zuvor in Metternichs Diensten und hatte 1823 in Göttingen seine
Dissertation in Buchform veröffentlicht , worin er , wenig diplomatisch , eindringlich vor der politischen Ge-
fahr der USA für die monarchische Ordnung Europas warnte , was prompt Verstimmungen hervorrief. [ Jo-
hann Georg Hülsemann , Geschichte der Democratie in den Vereinigten Staaten von Nord-Amerika , Göt-
tingen 1823 ] ; vgl. auch : Fröschl , Historical Roots of the European Anti-Americanism in the 18th and 19th
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741