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Spiegelung : Anmerkungen zum Bild Deutschlandsund Österreichs
Deutschen ins Gegenteil. In den Negativzuschreibungen wurden jedoch – insbesondere
nach dem Ersten Weltkrieg – kaum explizit Unterschiede zu den „deutschen“ Österrei-
chern gemacht und diese unter dem Begriff „Germans“ zunächst quasi subsumiert.266
Untersuchungen zum Österreich-Image in den Vereinigten Staaten verdeutlichen , trotz
der stark negativen Auswirkungen der „Waldheim-Affäre“,267 dass Österreich aus Sicht
gebildeter US-Amerikaner nach wie vor als „traditionelles Kulturland“ gilt
– ein Bild , das
allerdings weitgehend von der „ ‚musikalischen‘ Tradition Österreichs determiniert ist.“268
Zu ersten , offen deutsch-feindlichen Protesten war es im Zusammenhang des Gewerk-
schaftstreiks in Chicago 1886 gekommen , an dem radikal-anarchistische deutsche Immig-
ranten führend beteiligt gewesen waren. Die ein Jahr danach gegründete „American Pro-
tective Association“ verdammte bereits den „Germanism als eine der für die amerikanische
Gesellschaftsordnung bedrohlichsten Ideologien“.269
Es war aber die auf aggressive Expansion zielende imperiale Machtpolitik des deut-
schen Kaiserreichs , die schließlich zu einem tiefgreifenden und fundamentalen Wandel
in der Wahrnehmung Deutschlands führte – ein Wandel , der sich in der amerikanischen
Öffentlichkeit zunehmend in Form antideutscher , germanophober Affekte niederschlug.
Die Flotten-Aufrüstungspolitik unter dem 1898 zum preußischen Marineminister beru-
fenen Admiral Tirpitz ( „Tirpitzplan“ ) sowie die brüskierenden , konfrontativ-militaristi-
schen Äußerungen und Aktivitäten des deutschen Kaisers Wilhelm II., unter anderem im
Zusammenhang des amerikanisch-spanischen Krieges 1898 ,270 mündeten in einen regel-
rechten „Kalten Krieg“ zwischen den USA und Deutschland vor dem Ersten Weltkrieg.271
Prügelszenen mit nachfolgendem Aufmarsch von Polizeibattalionen kam. Nicht zuletzt aufgrund dieser
Beobachtungen formulierte der zutiefst irritierte Twain : „[ … ] diese Monarchie [ … ] sie widerspricht
unserer Vorstellung darüber , wie ein Staat beschaffen sein sollte , um eine Existenzberechtigung zu haben
[ … ]“. Zit. nach : Twain , Turbulente Tage in Österreich , a. a. O., 14.
266 Eine frühe und vergleichsweise seltene positive Gleichsetzung , die auch über die Erfahrungen des Ersten
Weltkriegs hinweg anhielt , findet sich in den Romanen sowie Notizen von Thomas Wolfe ( 1900–1938 ),
für den Deutschland mit Österreich das „Gegenbild und Kontrastfolie zur kapitalistischen Gesellschaft
mit ihren [ … ] künstlerischen Defiziten“ darstellte. Zacharasiewicz , Das Deutschlandbild in der ameri-
kanischen Literatur , a. a. O., 184. In seinen Eindrücken von der Donaumetropole 1928 sprach Wolfe hier
von einer im Vergleich zu Deutschland sogar größeren „urbanity and fine delicacy , charm and gaiety“.
Elizabeth Nowell ( Ed. ), The Letters of Thomas Wolfe , New York 1956 , 127 f. Zit. nach : Zacharasiewicz ,
Das Deutschlandbild in der amerikanischen Literatur , a. a. O., 188.
267 Vgl. John Bunzl , American attitudes toward Austria and Austrian-German relations since 1945. In : David
F. Good / Ruth Wodak ( Eds. ), From World War to Waldheim. Culture and Politics in Austria and the
United States , New York – Oxford 1999 , 25 f.
268 Winfried Kerschhaggl , Das Image Österreichs in den Vereinigten Staaten von Amerika. Eine explorative
Studie über das Österreich Image ( USA , Jänner 1992 ), Dipl.-Arb., Univ. Wien 1992 , 139.
269 Mollin , Amerikanische Spiegelungen – das Deutschlandbild in den USA , a. a. O., 83.
270 Im Juli 1898 löste das Aufeinandertreffen amerikanischer und deutscher Geschwader in der Bucht von
Manila kurzfristig sogar panikartige Kriegsbedrohungszenarien in der US-Presse aus. Vgl. ebd., 96.
271 Ebd., 89 ff.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741