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2. „Education for Victory“
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Von Anbeginn war der öffentliche „Education for Victory“-Diskurs , der zum Zweck der
moralisch-geistigen Einigung der USA die eigenen zu verteidigenden demokratischen
Werte in den Vordergrund stellte und dabei wiederholt auf die demokratische Pflicht ver-
wies , auch die eigenen Schwächen klar zu erkennen , ein Diskurs , in dessen Windschatten
das Problem der „Rassen“-Diskriminierung im eigenen Land sozusagen mitlief.534
Im Hinblick auf die Erfordernisse einer vollständigen Mobilisierung des nationalen Ar-
beitskräftepotenzials besann sich die US-Regierung daher der prinzipiellen Gleichheit aller
amerikanischen Bürger. In der oben bereits zitierten nationalen Verteidigungsbroschüre „Our
Country’s call to Service“ wurde diesbezüglich in pragmatisch-nüchternem Ton festgehalten :
“Another source of manpower which must increasingly be used is the Negro worker. Every ef-
fort has been made by the schools to extend defense training opportunities to Negroes. Several
thousand Negroes are now receiving training ; many others have already been employed in muni-
tions factories , in aircraft manufacturing , and in shipbuilding. And as the urgency of the need for
employing our full resources of trained manpower becomes every day more pressing , we shall see
Negroes , by increasing thousands , finding their way into employment in many defense industries.
[ … ] It would be both dangerous and stupid to deny 13,000. 000 Negro citizens , who love freedom as
much as any of us do , the fullest opportunity to give of their strength , their courage , and their devotion to
our defense effort , whether in the Army , the Navy , or the labor force of the Nation. Unless we can devel-
op a tolerance based upon justice and mutual understanding we bid fair to become an easy prey for
the softening-up tactics so successfully used by the Nazis in Europe.”535 [ Hervorhebung d. Verf. ]
Und mit Blick auf die wiederkehrenden Versuche der NS-Propaganda , soziale , ethnische
und religiöse Gruppen in den USA gegeneinander aufzuhetzen536 – tatsächlich kam es
zwischen 1942 und 1943 in den Südstaaten zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen
Weißen und Afroamerikanern537 –, wurde durchaus realistisch konstatiert : „Few Ameri-
cans understand the true menace of these tactics which by exploiting racial and religious
prejudice , by rousing class suspicion , by capitalizing on economic controversy , short-circuit
united action and weaken resistance to military conquest.“538
Auch die Propagandaabteilungen der Achsenmächte nutzten die Angriffsfläche , die die
amerikanische Minderheitenpolitik bot. So meldete der japanische Rundfunk am 15. März
1942 von Mandschuko aus in englischer Sprache : „Democracy , as preached by the Anglo-
534 In den zitierten Schriften des „National Defense“-Programms wurde auf die Frage der nationaler Minder-
heiten bzw. der existierenden Rassendiskriminierung lediglich in allgemeiner Form eingegangen , indem man
jegliche Ungleichbehandlung als unvereinbar mit demokratisch-humanitären Werten und Idealen erklärte.
535 Our Country’s Call to Service , a. a. O., 12 bzw. 19.
536 Vgl. Jerome S. Bruner , The Dimension of Propaganda : German Short-Wave Broadcasts to America. In :
The Journal of the Abnormal and Social Psychology , 38. Jg., 1943 , 311–337.
537 Vgl. Howard W. Odum , Race and Rumors of Race , University of North Carolina 1943.
538 Our Country’s Call to Service , a. a. O., 19.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741