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„Our Country’s Call to Service“
Insbesondere waren es hier die unter britischer Führung gesetzten Aktivitäten der
„Conference of Allied Ministers of Education“ ( CAME )656 – sie tagte seit 16. November
1942 unter dem Vorsitz von Richard A. Butler ( dem späteren konservativen britischen
Erziehungsminister ) –, einer der direkten Vorläufereinrichtungen der 1945 gegründeten
UNESCO ,657 die den neuzuformierenden „United Nations“ eine besonders prominente
Rolle zuwiesen. Die alliierten Erziehungsminister – 18 Vertreter von ( Exil- )Regierungen ,
darunter von Polen , den Niederlanden , Norwegen , Griechenland , Jugoslawien und der
Tschechoslowakei – zeigten sich besonders besorgt über die intellektuelle Devastierung
Europas durch das NS-Regime , die Verschleppung von Kulturschätzen und bemühten
sich um ein konstruktives Gegenprogramm , speziell um die Ausarbeitung von Plänen für
den Wiederaufbau des Schul- und Bildungswesens in den von den Nationalsozialisten
okkupierten Ländern.658 Ergebnis dieser CAME-Beratungen , an denen seit April 1944
auch offizielle Delegierte der Vereinigten Staaten teilnahmen ,659 war ein Vorschlag zur
Abhaltung einer „United Nations Conference“ zwecks Gründung einer „Educational and
Cultural Organisation“ ( ECO / CONF ), die dann , unter der treibenden Kraft Großbri-
tanniens660 und Frankreichs , vom 1. bis 16. November 1945 in London tagte : hier wurde die
UNESCO gegründet
– eine Organisation , die künftig die „intellectual and moral solidity
of mankind“661 garantieren sollte. In der Präambel der UNESCO-Verfassung findet sich
656 Vgl. Allied plan for education. The story of the Conference of Allied Ministers of Education , London 1945.
657 Direkte Vorläufer der UNESCO waren das „International Committee of Intellectual Co-operation“ [ gegr.
in Genf 1926 unter Vorsitz von Gilbert Murray ] , das „International Institute of Intellectual Co-operation“
[ gegr. in Paris 1924 unter Vorsitz von Henri Bonnet ] und das „International Bureau of Education“ [ gegr.
in Genf 1925 ; 1969 ging es im UNESCO-Sekretariat auf ]. Die UNESCO-Konstitution wurde auf der
CAME-Tagung in London am 16. November 1945 , an der 44 Staaten teilnahmen , von insgesamt 37
Staaten unterschrieben und trat am 4. November 1946 , nach Ratifizierung durch 20 Signatarstaaten , im
Rahmen der UNO in Kraft. Siehe dazu allgemein : http://www.un.org.
658 Insbesondere ging es um den Aufbau von Schul- und Bibliotheksinfrastruktur , um die Ausbildung von
Pädagogen in den Vereinigten Staaten , um Lehr- und Unterrichtsmaterialien sowie um die Ausstattung
mit wissenschaftlichen Geräten.
659 Am 25. März 1944 erklärte der U. S. Secretary of State , Cordell Hull , dass die Vereinigten Staaten von
nun auch eine Delegation unter Vorsitz von Archibald MacLeish zu den Konferenzen der „Allied Mi-
nisters of Education“ nach London entsenden. Die weiteren Mitglieder der Delegation waren : Sena-
tor J. William Fulbright , John W. Studebaker , Ralph E. Turner , Dekan C. Mildred Thompson und den
mittlerweile für das State Department arbeitenden Grayson N. Kefauver. Siehe : Events Leading Up To
World War II. Chronological History , 1931–1944 ( 78th Congress , 2d Session , House Document No.
541 ), Washington D.C. [ U. S. Government Printing Service ] 1944 , 414 ; weiters : Ralph E. Turner / Hope
Sewell French , Conference of allied ministers of education , Washington D.C. 1944.
660 Auf Drängen der UdSSR , die den Plänen zur Ausarbeitung nationaler Curricula für Schulen ebenso
ablehnend gegenüberstand wie der Führungsrolle der Briten , entschloss sich das U. S. State Department
dann , künftig zwei ständige Beobachter für London abzustellen. Siehe dazu : Füssl , Restauration und
Neubeginn , a. a. O., 6.
661 Siehe dazu : www.un.org.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741