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2. „Education for Victory“
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rialisierungserfahrung als solche prägender war als das Erlebnis Amerika“,873 führte nur in
wenigen Fällen zu wirklich großem Erfolg. Neben der Wiener Schriftstellerin Hertha Pau-
li , die gemeinsam mit ihrem Mann eine erfolgreiche Biografie über Alfred Nobel verfasst
hatte , erzielte insbesondere der bereits erwähnte österreichische Schriftsteller Hans Habe
mit seinem 1941 erschienen autobiografischen Roman zum Fall Frankreichs ( „A Thousand
Shall Fall“ ), der in einer Auflage von über vier Millionen erschien , den größten Erfolg ei-
nes deutschsprachigen Exil-Autors in Amerika.874
Aber trotz so mancher sprachlichen Verständigungsprobleme , der zuweilen sicher nicht
leicht zu verkraftenden sozialen Isolation875 und Negativerfahrungen amerikanischer Le-
benskultur 876 empfanden viele der emigrierten Intellektuellen , Künstler und Schriftsteller
das amerikanische Exil als demokratisches Refugium.877 So schrieben Erika und Klaus
873 Popp , „Aber hier war alles anders …“. Amerikabilder der deutschsprachigen Exilliteratur , a. a. O., 290.
874 Ebd., 289
875 Beispiele österreichischer US-Exilanten sind in diesem Zusammenhang Edgar Zilsel ( 1891–1941 ), Josef
Luitpold Stern ( 1886–1966 ) oder Karl ( 1879–1963 ) und Charlotte Bühler ( 1893–1974 ). Der Wissen-
schaftshistoriker Edgar Zilsel vermochte in der Erinnerung seines Sohnes Paul Zilsel „mit der unge-
wohnten Sprache und dem blinden , verständnislosen Rattenlabyrinth , das die Stadt New York den armen
Leuten darbietet , mit den Hungersubventionen der gelehrten Gesellschaften , die Refugeewissenschaftler
unterstützten“, nicht klarzukommen und verübte in dieser depravierten Isolation , in der er wissenschaft-
lich keinen Anschluss finden konnte und sich mit den österreichischen Exil-Sozialisten überwarf , schließ-
lich Selbstmord. Siehe : Paul Zilsel , Über Edgar Zilsel. In : Friedrich Stadler ( Hrsg. ), Vertriebene Vernunft
II. Emigration und Exil österreichischer Wissenschaft 1930–1940 , Wien – München 1988 , 930 ff. ; zu
Zilsels Zeit im US-Exil siehe weiters : In der Emigration gestorben. Edgar Zilsel. In : Austrian Labor
Information , No. 24 , March–April 1943 , 9. Der sozialdemokratische Arbeiterdichter und Volksbildner
Josef Luitpold Stern arbeitete als Fürsorger in den Slums in Philadelphia und fühlte sich , wie einzelne
Briefe belegen , trotz reger Betätigung in den USA nicht besonders wohl ; erst 1948 konnte er , nach Be-
reitstellung der nötigen materiellen Mittel , nach Österreich zurückkehren. Vgl. Walther Viktor , Dichter
und Volksbildner [ Josef Luitpold Stern ]. In : Austro American Tribune. Anti-Nazi Monthly , Vol. IV , No. 9 ,
April 1946 , 11 f. [ ÖNB MF 2273 ] ; zu Stern siehe jüngst : Marcus Strohmeier , Lernen um zu kämpfen –
kämpfen um zu siegen. Josef Luitpold Stern ( 1886–1966 ), Wien 2011 , 15 f. Obwohl Karl und Charlotte
Bühler bereits in den 1920er-Jahren an mehreren amerikanischen Universitäten gelehrt hatten und in
Wien außergewöhnlich erfolgreich waren , konnten sie tragischerweise in den USA letztlich nicht Fuß
fassen und verstummten , „als sie kein Echo für ihre Ideen fanden und auch keine Universitätspositionen
erhielten.“ Coser , Die österreichische Emigration als Kulturtransfer , Europa – Amerika , a. a. O., 99.
876 Zum literarischen Niederschlag dieser Negativ-Erfahrungen , die zum Teil an die breite Palette vorgän-
gige Amerika-Bilder anknüpften , siehe insbesondere die Darstellung bei : Popp , „Aber hier war alles an-
ders …“. Amerikabilder , a. a. O., 106 ff.
877 Zuweilen entfalteten Emigranten in den USA auch Bildungsaktivitäten mit beträchtlichen Einfluss und
Nachhaltigkeit auf inneramerikanischen Entwicklungen. So konstatiert Karl-Heinz Füssl für das am
25. September 1933 in den Bergen von North Carolina gegründete „Black Mountain College“ ( BMC ),
eine alternative Gründung „radikaler Bildungs- und Gemeinschaftskultur“, einen „nachhaltigen Einfluß
auf den inneramerikanischen Bildungsdiskurs“. In diesem College waren eine Vielzahl deutscher [ sic ]
Künstler , Gelehrter und Wissenschafter tätig , so z. B. Josef Albers , Ernst Krenek [ sic ] , Peter Bergmann ,
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741