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2. „Education for Victory“
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vitäten der großteils privaten zivilgesellschaftlichen Initiativen doch einige verbindende
inhaltliche Charakteristika festhalten. So zum Beispiel die internationale Planungspers-
pektive , die eine Lösung der Reeducation nur auf Basis einer längerfristigen , multilateralen
Kooperation und Kontrolle durch die internationale Staatengemeinschaft als sinnvoll und
möglich ansah. Des Weiteren bezogen sich die Überlegungen für Umerziehungsmaßnah-
men primär auf die Problematik der mentalen und sozialen Auswirkungen der NS-Erzie-
hung ; das hatte zur Folge , dass der Diskurs vor allem unter dem Generalbegriff „German
Reeducation“ abgehandelt wurde : separierte Erörterungen zur Frage der Reeducation in
Japan , Italien oder Österreich finden sich dabei kaum , bildeten diese Fälle doch lediglich
Varianten beziehungsweise Sekundärphänomene der brutalen autoritär-etatistischen In-
doktrinierungsmaschinerie des „Dritten Reichs“.898
Als weiteres , obwohl nicht immer explizit angeführtes Charakteristikum ist das Ne-
beneinander von mentalen und sozialpsychologischen Umerziehungsaufgaben und einem
soliden , wirtschaftlich-ökonomischen Wiederaufbau zu nennen. Anders als im Zusam-
menhang mit den wiederholt als unzureichend eingeschätzten Vorkehrungen der interna-
tionalen Staatengemeinschaft nach dem Ersten Weltkrieg , sollte der Erfolg eines nachhal-
tigen , friedensbezogenen Wiederaufbaues eng mit dem materiellen Aufschwung verknüpft
werden.
Als letztes verbindendes Charakteristikum kann festgehalten werden , dass in Bezug
auf die demokratische Reorientierung nach Kriegsende ( freilich nach vorheriger rigoroser
Entnazifizierung ), mit deutlicher Warnung vor einer möglichen „democratic reaction“, ein
nicht-bestrafender , sondern unterstützender Ansatz der Umerziehung präferiert wurde.
260 , OMGUS – ECR , Box 88. Memorandum on Postwar Education Reconstruction in Germany. Prepa-
red by B. Q. Morgan and F. W. Strothmann , Department of German , Stanford University [ 1944 ].
898 In Bezug auf Japan wurden mehrfach Parallelen zur verspäteten Industrialisierung und zur ausgeprägten
Tradition der Obrigkeitsstaatlichkeit „als Bollwerk gegen liberal-demokratische Entwicklungen“ in
Deutschland gezogen , und darüber hinaus konstatiert , dass das „preußische Beispiel für den Aufbau des
japanischen Bildungswesens wegweisend war“. Zit. nach : Rosenzweig , Erziehung zur Demokratie ? Ame-
rikanische Besatzungs- und Schulreformpolitik in Deutschland und Japan , a. a. O., 17 bzw. 19. ; siehe
weiters : Gordon Daniels , The Re-education of Imperial Japan. In : Nicholas Pronay / Keith Wilson ( Eds. ),
The Political Re-Education of Germany and Her Allies After World War II , Kent 1985 , 203–218. In
Bezug auf die US-Reeducation-Aktivitäten in Italien , die bereits 1943 / 44 begannen , existiert bis dato
wenig an Forschungsliteratur. Die inmitten des Krieges beginnenden Maßnahmen konzentrierten sich
zunächst primär auf den Bereich des Schulwesens , das über lange Jahre vom faschistischen Regime nach
autoritärem Muster geprägt und dessen Infrastruktur aufgrund der Bombardierungen stark zerstört war.
Schwierigkeiten ergaben sich insbesondere durch den Widerstand der Katholischen Kirche , die kultu-
rellen oder bildungspolitischen Interventionen durch die Amerikaner ablehnend gegenüber stand. Siehe
dazu : Cristina Allemann-Ghionda , Dewey in Post-War Italy : The Case of Re-Education. In : Jürgen Oel-
kers / Heinz Rhyn ( Eds. ), Dewey and European Education , Dordrecht 2000 , 54 ff. ; weiters : David Ellwod ,
From ‚Re-education‘ to Selling of the Marshall Plan in Italy. In : Nicholas Pronay / Keith Wilson ( Eds. ),
The Political Re-Education of Germany and Her Allies After World War II , Kent 1985 , 219–240.
Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
Entnommen aus der FWF-E-Book-Library
- Titel
- Zwischen geistiger Erneuerung und Restauration
- Untertitel
- US-amerikanische Planungen zur Entnazifizierung und demokratischen Reorientierung und die Nachkriegsrealität österreichischer Wissenschaft 1941-1955
- Autor
- Christian H. Stifter
- Verlag
- Böhlau Verlag
- Ort
- Wien
- Datum
- 2014
- Sprache
- deutsch
- Lizenz
- CC BY-NC-ND 3.0
- Abmessungen
- 17.0 x 24.0 cm
- Seiten
- 762
- Schlagwörter
- US-Reorientierung, Amerika, USA, Besatzungszeit, Demokratisierung, Amerikanisierung, Entnazifizierung, Kalter Krieg, Österreich, Universität, Wissenschaft, Wien
- Kategorien
- Geschichte Nach 1918
Inhaltsverzeichnis
- Vorbemerkung 11
- Einleitung 15
- 1. Images , Stereotype und Vorurteile – Herkunft und Veränderung der kulturellen Geringschätzung der USA in Europa seit dem 18. Jahrhundert 31
- 2. „ Education for Victory“ – US-Demokratisierungs-Konzepte und die zivilen Reeducation-Planungen für ein post-totalitäres Europa , 1941–1945 97
- „Education in Wartime“ – Nationalsozialismus als Fundamentalbedrohung der US-amerikanischen Zivilgesellschaft 99
- „Our Country’s Call to Service“ – konkrete Auswirkungen des Verteidigungs- und Abwehr-Diskurses 107
- Binnenamerikanische Reeducation : Stärkung nationaler Moral , Militarisierung des Bildungswesens und Bildungsreform 108
- Educational Reconstruction – Überlegungen und Konzepte 1942–1943 / 44 zur Demokratisierung nach Kriegsende 138
- „What to do with the mentally ill Germans ?“ Ursprünge , Entwicklung und Veränderungen der zivilen Reeducation-Konzepte , 1940–1944 157
- Exkurs : die österreichische Emigration in den USA – ein kultur- und bildungspolitisch folgenloses Kapitel für die Nachkriegsplanungen 175
- Spätphase der zivilgesellschaftlichen Überlegungen und Konzepte zur Reeducation und Reorientation 1943 / 44–1945 – langfristige Reorientierung als Paradigma 201
- Missing Link : Fehlende Umsetzung der Reorientierungs-Konzepte in die militärischen Planungen , 1943–1945 210
- „Takeover“ durch die U.S. Army : Wirrwarr und Kompetenzgerangel – Ausdünnung der Reorientation auf ‚unpolitische‘ Säuberungsmaßnahmen 210
- Randnotiz zu einem fehlgeschlagenen Experiment der US-Armee – POW-Camps zur Reeducation 228
- Zur Rolle Österreichs in der Reeducation-Planung der US-Militärstäbe 1943 / 44–1945 239
- Österreich – ein unklarer Planungsfaktor alliierter Politik bis 1944 / 45 239
- Militärisch-gremiale Detailplanung für Österreich – Administrationsunterlagen ohne Reorientation als Ergebnis 248
- 3. Beginn der US-Reorientierung nach 1945 – die Education Division als zentrale US-Militärbehörde 265
- 4. „ The democratic way of life in Austria“ – erste Umsetzungsphase bis zum Nationalsozialistengesetz 1947 : Zwischen Laissez Faire , strenger Observation und milder Beurteilung 277
- Kooperation statt Intervention und die Folgen für die Entnazifizierung im Bildungsbereich : das Fallbeispiel Universität 277
- Ausgangslage : Perspektive nötiger ‚Säuberungsmaßnahmen‘ 277
- Bestimmungen zur Entnazifizierung in US-Planungsdirektiven 288
- Die Ausgangssituation an den Universitäten im Frühjahr 1945 292
- Personalsäuberungen durch „Sonderkommissionen“ und deren Senate 318
- Entnazifizierung am Beispiel der Universität Wien 346
- Rückkehr unerwünscht ? – Maßnahmen zur Rückholung österreichischer WissenschafterInnen aus der Emigration 365
- Fallbeispiel : Ernst Karl Winter ( 1895–1959 ) 373
- Fallbeispiel : Hans Kelsen ( 1881–1973 ) 393
- Fallbeispiel : Felix Ehrenhaft ( 1879–1952 ) 404
- Wissenschaftspolitische Restauration und amerikanisch- österreichische Beziehungen. Ein Zwischenresümee 410
- Rahmenrichtlinien und Entnazifizierung der Studentenschaft an Österreichs Universitäten 427
- ÖH-Wahlen November 1946 : erste Großdemonstration gegen „nazistische Umtriebe“ in der Zweiten Republik und die Folgen 448
- Auswirkungen der Hochschulkrawalle : Turbulenzen im Alliierten Rat , Re-Screening der Studierenden und Lehrkräfte 477
- Turnaround in der Entnazifizierungspolitik – Kontroverse zwischen State Department und War Department 502
- 5. US-Reorientierungs-Planungen im Frühen Kalten Krieg : Zwischen Popularisierung des „American Way of Life“ und Psychologischer Kriegsführung , 1947–1950 517
- Longe Range Policy 1946 / 47 – Paradigmenwechsel : langfristige zivile Reorientierungs-Konzepte anstelle militärischer Kontrolle 517
- Elitenbildung über „Austauschprogramme“: zentrales Element der besatzungspolitisch auf gewer teten US-Reorientierung ab 1947 / 48 548
- Die ideologische Überformung der US-Reorientierung durch Propagandakampagnen des Kalten Krieges 562
- Cultural Exchange – Rahmenbedingungen der US-Kulturoffensive 562
- Reorientierung und psychologische Kriegsführung : „War of ideas“ – „Campaign of Truth“ – „Struggle for Minds“ 573
- 6. Endphase der Besatzung : Akademische Austauschprogramme und ihre Umsetzung in Österreich , 1950–1955 595
- Beginn der „U.S. Exchange“-Programme – Seltsamkeiten und Pannen 595
- Kurzer Exkurs : das Salzburg-Seminar – akademische Freiheit mit Hindernissen 609
- Umstrukturierung und Expansion : neuer Anlauf unter Supervision des U.S. Department of State 616
- Übernahme durch das State Department – Instrumentalisierung des „Exchange-Program“ als Teil der psychologischen Kriegsführung gegen die Sowjetunion 625
- ‚Phasing out‘ – zivile Verwaltung und Beginn der Normalisierung 638
- Schlussbemerkung 655
- Quellenverzeichnis 665
- Literaturverzeichnis 673
- Verzeichnis der Abkürzungen 735
- Personenverzeichnis 741